Windenergie und Ästhetik: Beispiel Wesermarsch

Kontext:

Zu diesem Thema haben wir 1992 zusammen mit Prof. Dr. Jürgen Hasse (heute Universität Frankfurt/M.) das bundesweit erste Gutachten im Auftrag des Landkreises Wesermarsch erstellt. Es passte nicht ganz in den Zeitgeist und wurde daher nicht veröffentlicht, kursiert seither jedoch sehr lebhaft, wie wir aus verschiedenen Anfragen und Einladungen zu Veranstaltungen zum Thema Windenergie erfahren haben. 1998 erhielt ich einen Anruf aus Kalifornien, der mich unter Bezug auf dieses Gutachten zur internationalen Tagung "Wind Energy and The Landscape" nach Bellagio (Italien) einlud! Dort entstand in Zusammenwirken mit namhaften amerikanischen und europäischen Fachleuten das Werk "Wind Power in View".

Das Problem:

Mit Inkrafttreten des Energieeinspeisungsgesetzes zum 1. Januar 1991 wurden Baubehörden der küstennahen Landkreise mit einer Antragsflut für Windkraftanlagen überschwemmt, ohne planerisch auf diese revolutionäre Veränderung vorbereitet zu sein. Sofort begann eine intensive, teilweise sehr hitzig geführte Debatte über die Auswirkungen von Windenergieanlagen. Parallel dazu lief die Genehmigungspraxis nahezu beliebig ab: von Landkreis zu Landkreis wechselten die Anforderungen, die an entsprechende Bauvorhaben gestellt wurden.

Dabei ist es bis heute geblieben, denn weder das Land Niedersachsen noch andere Bundesländer haben  sich zu einem einheitlichen Konzept für Windenergieanlagen durchringen können. Genauso wenig wie zu einem bundeseinheitlichen Energiekonzept, was sich in steigenden Strompreisen für die Verbraucher bei sinkenden Erzeugerpreisen und in der hartnäckig verteidigten Zielvorstellung der Erfordernis neuer Höchstspannungsleitungen zum Ausdruck bringt. Dabei dürfte sich langsam herumgesprochen haben, dass nicht die Offshore-Windparks diese Erfordernis erzeugt haben, sondern die durch die Kernkraftlobby bewirkte Verlängerung der AKW-Laufzeiten vor Fukushima.

Der Energiesektor ist somit weiterhin äußerst konfliktträchtig, und zwar durch das Wirken aller Regierungen seit 1991...

     

Der Artikel, der nicht in "Natur und Landschaft" erscheinen durfte:

1. Problemstellung

Das steigende Bewußtsein um die Risiken, Gefahren und Nebenwirkungen nuklearer, aber auch konventioneller Stromerzeugung hat Forderungen nach der emissionsarmen Nutzung regenerativer Energiequellen verstärkt. Durch das seit dem 1. Januar 1991 rechtskräftige Energieeinspeisegesetz in Verbindung mit einschlägigen Förderrichtlinien für die Gewinnung von Elektrizität aus regenerativen Energieformen ist derartigen Forderungen - zumindestens teilweise - entsprochen worden. Gefördert wird insbesondere die Nutzung der Windenergie, welche vor allem in den küstennahen Landschaften erfolgversprechend erscheint.

Im Gegensatz zu unseren niederländischen und vor allem unseren dänischen Nachbarn, bei denen die Nutzung von Windenergie zur Erzeugung von Elektrizität seit langem praktiziert wird, hat sich in der Bundesrepublik seit dem 1. Januar 1991 schlagartig eine Veränderung der Situation ergeben. Einer gegenüber privaten Energieeinspeisern sehr restriktiven Politik ist eine Politik der Förderung ressourcenschonender Kleinanlagen gefolgt, welche eine Vielzahl von Bauanträgen für Windenergieanlagen (im folgenden mit WEA abgekürzt) nach sich gezogen hat. Diese Antragsflut konzentriert sich vor allem auf die norddeutschen Küstenlandkreise, da hier bei einer mittleren Jahreswindgeschwindigkeit von 5 m/s eine wirtschaftliche Nutzung zu erwarten ist. Bei der Zahl der Bauanträge, welche in jedem niedersächsischen Küstenlandkreis deutlich über 100 liegt, läßt sich jedoch absehen, daß auch eine Nutzung regenerativer Energieformen nicht ohne Auswirkungen für die Landschaft in ökologischer und ästhetischer Hinsicht bleiben kann. Während jedoch die ökologischen Auswirkungen von WEA bereits Gegenstand umfangreicher Untersuchungen waren, besteht über die ästhetische Dimension des bevorstehenden Landschaftswandels noch weitgehende Unklarheit. Nicht nur die betroffenen Naturschutzbehörden sind sich dieses Problems bewußt, sondern auch die vom Tourismus lebenden Gemeinden, welche um die Attraktivität ihrer Landschaft fürchten. So wurde vom Landkreis Wesermarsch in Zusammenarbeit mit der Bezirksregierung Weser-Ems ein Gutachten über die ästhetischen Auswirkungen von WEA in Auftrag gegeben, dessen Grundzüge und Ergebnisse an dieser Stelle referiert werden sollen.
 

2. Landschaftsästhetik als subtiler Prozeß

Der alltägliche Begriff von "Ästhetik" lehnt sich an Assoziationen des Schönen und optisch Gefälligen an; danach liefe der Begriff der "Landschafts-Ästhetik" auf eine (imaginäre) 'Lehre "schöner Landschaften"' hinaus. Solche Irrtümer gilt es abzubauen! Gleichwohl dürfen Landschaften nicht als "Realobjekte" unterstellt werden, denn das, was die Menschen mit der Abstraktion 'Landschaft' verbinden, ist nicht objektivierbar (vgl. HARD 1991, WENZEL 1991, SCHWAHN 1990). 'Landschaften' sind vielmehr "Sehfiguren" (HARD), die nach gesellschaftlichem, sozialpsychologischem und nicht zuletzt biographischem Bild-Bedarf im Prozeß der Wahrnehmung mimetisch erzeugt werden.  Wir gehen deshalb vom klassisch griechischen Ästhetik-Begriff aus (Aisthesis), wonach alles ästhetisch ist, "was unsere Sinne beschäftigt, in uns Empfindungen und Gefühle entstehen läßt und auf solchen Wegen unser Bewußtsein prägt" (ZUR LIPPE 1987). Wir haben "Landschafts-Ästhetik" somit als einen subtilen Prozeß zu begreifen, in dessen Vollzug bedeutsame Beziehungen zwischen einem Subjekt und einem Umweltausschnitt hergestellt werden. Wir sehen, daß "Landschafts-Ästhetik" zunächst in keiner Weise die Tendenz eines spezifischen ästhetischen Wertes (wie "schön") präjudiziert.

Um diese konkreten Wertfragen geht es aber in der naturschutzrechtlichen und raumordnungspolitischen Lösung der Frage nach geeigneten Standorten für visuell herausragende Anlagen wie z.B. WEA, die den Landkreisen als Untere Naturschutzbehörde und Instanz der Regionalen Raumplanung obliegt:
An welchen Standorten sind WEA
 

  •  mit der naturschutzrechtlichen Präferenz des § 1 BNatSchG (Fassung vom 12.3.1987) zum Schutz der "Vielfalt, Eigenart und Schönheit von Natur und Landschaft" vereinbar;
  •  mit den Bedürfnissen der regionsansässigen Bevölkerung nach Identifikation mit der alltäglichen Lebens-Umwelt vereinbar (Heimat);
  •  mit den Bedürfnissen der Erholungssuchenden (Naherholung und Tourismus) nach Entspannung und alltagskomplementärem Kontrasterleben vereinbar?2

Wenn die Auswahl und Ausweisung von Standorten für die Erschließung von WEA (z.B. im Regionalen Raumordnungsprogramm und in den Flächennutzungsplänen der Kommunen) nicht nur formalrechtlich begründet werden soll, ist es unumgänglich, potentielle Konfliktfelder näher einzugrenzen. M.a.W.: Was "Schönheit der Landschaft" bedeutet, wäre unter dem Gesichtspunkt konkreter Landschaften und deren "Nutzer" (d.h. konkreter ästhetischer Mensch-Umwelt-Beziehungen) erst zu präzisieren. Entsprechende Aussagen können keinen kausallogischen Charakter haben; sie orientieren sich vielmehr an der  semantisch "weichen" Struktur von Grund-Folge-Relationen. So werden auch nicht definitive Sätze als normative Gundkategorien angestrebt, sondern Hypothesen, die sich als Suchinstrumente bei der Findung problem- und krisenminimierender Lösungsansätze zu bewähren haben. Bei dieser Hypothesenbildung sind insbesondere zwei strukturelle Wahrnehmungsvoraussetzungen in Rechnung zu stellen:

1.) In den ästhetischen Beziehungen von Regionsansässigen (Autochthonen) zu ihrer Landschaft werden aufgrund regionaler alltäglicher Handlungsroutinen andere Akzeptanz- und Verweigerungskriterien eine Rolle spielen als in denen von Touristen (Allochthonen), die dem möglichen Wandel einer Region unter der Bedingung einer "Sonderwelt" gegenüberstehen.

2.) Das Thema "Windenergienutzung" wird insbesondere in den nordischen Bundesländern durch politische Parteien ideologisiert. Windenergienutzung gilt a priori als 'vernünftig', 'gut' und 'richtig', ist folglich spezifisch moralisiert. Probleme einer flächenintensiven Erschließung werden zugunsten einer energiepolitischen Idealisierung der Windenergienutzung weitgehend ausgeblendet. Gegen anklingende Kritik wenden nicht selten gerade (dogmatische) Vertreter alternativer Energiepolitik als Argument ein, daß in der KKW-Politik schließlich auch kein entsprechender Aufwand an Umweltverträglichkeitsprüfung betrieben worden sei. M.a.W.: Die öffentliche Kritik an der politischen Praxis der Windenergieerschließung wird subtil und strukturell unterdrückt.

Vor dem Hintergrund dieser Wahrnehmungsvoraussetzungen war ein methodisch tragfähiger Untersuchungsansatz zu entwickeln.
 

3. Ein interdisziplinärer Untersuchungsansatz: Sozialwissenschaft und Landschaftsplanung

In der Vergangenheit ist wiederholt der Versuch unternommen worden, die ästhetische Beurteilung von Landschaft oder von Eingriffen in diese allein aufgrund objektivierter Kriterien oder mit Hilfe eines auf naturwissenschaftliche Objektivität abzielenden Verfahrens vorzunehmen.
Wenn angesichts des unter Pkt. 2 dargelegten Ästhetik-Begriffes die in der Naturschutzgesetzgebung verankerten Wertbegriffe "Vielfalt", "Eigenart" und "Schönheit" weiterhin aber lediglich als naturraumspezifische Kriterien gesehen werden (BREUER 1991), so kann eine solche Vorgehensweise nicht den gesetzlichen Auftrag erfüllen, die Lebensgrundlage des Menschen und die Voraussetzung für seine Erholung in Natur und Landschaft dauerhaft zu sichern. Individuen oder gesellschaftliche Gruppierungen stellen ihre eigenen ästhetischen Beziehungen zur Umwelt her. Daran kann letztlich auch eine objektivierte "Darstellung" (i.S. von "Richtig"-Stellung!) von oben nichts ändern.

Zur Antizipation und planerischen Bewältigung möglicher Konflikte als Folge einer voraussichtlich gravierenden Veränderung einer Landschaft und ihrer Qualitäten als Lebens- und Erholungsraum wurde in der Kopplung von Methoden der Landespflege und der Sozialwissenschaft auf der Grundlage einer Arbeitsgemeinschaft der hier dargestellte interdisziplinäre Ansatz entwickelt.

Landespflegerischer Beitrag

Der Landschaftsplanung fallen zwei wichtige Aufgaben zu: zum ersten die der Standortwahl für WEA - sowohl für Einzelanlagen als auch für größere Windparks; zum zweiten die der Umsetzung der naturschutzrechtlichen "Eingriffsregelung". Die Aufgabe des landespflegerischen Beitrags lag demzufolge in der Ermittlung von Landschaftseinheiten unterschiedlicher Empfindlichkeit gegenüber der Errichtung von WEA, sowie weiterhin in der Auflistung genereller Maßnahmen zur Integration von WEA in die Landschaft. Eine generelle ästhetische Analyse der betroffenen Landschaftseinheiten sollte schließlich Anregungen zur ästhetischen Kompensation der zu erwartenden Eingriffe ermöglichen.

Sozialwissenschaftlicher Beitrag

Ein erstes Ziel der sozialwissenschaftlichen Teilstudie bestand darin, die unter Punkt 2 näher beschriebene ästhetische Beziehung zwischen den verschiedenen "Nutzer"-Gruppen der regionalen Landschaften hermeneutisch über Interviews auszuleuchten. Dazu war der mögliche bervorstehende Wandel der Bilder und Erscheinungen des Regionalen durch die Errichtung von WEA ästhetisch "verfügbar" zu machen. Die Untersuchung strebte damit Aussagen über die Bewertung eines Wandels an, der noch bevorsteht - Aussagen über nutzerspezifische Inhalte der Akzeptanz und Verweigerung verschiedener Formen der Erschließung durch WEA. Diese subjektorientierten Befunde waren zu den Ergebnissen der landespflegerischen Erhebungen (vgl. unten) in Beziehung zu setzen.

Ein zweites Ziel dieser Teilstudie lag darin, verschiedene Domänen von Expertenwissen zur Erarbeitung einer "Entscheidungshilfe zur Findung geeigneter Standorte von Windenergieanlagen" zu erschließen. Zu diesem Zwecke wurde eine Delphibefragung durchgeführt (vgl. 3.1.). So konnte neben den ästhetischen Präferenzen "der Leute" die Erfahrungsressource hochspezialisierter Experten für die anstehenden administrativen und politischen Aufgaben nutzbar gemacht werden - als "Angebot denkbarer Antworten".
 

3.1. Arbeitsmethoden
3.1.1. Sozialwissenschaftliche Arbeitsmethoden

Den Schwerpunkt des sozialwissenschaftlichen Vorgehens bilden 20 qualitative Interviews, von denen 10 mit Einheimischen und 10 mit Touristen geführt worden sind. Qualitative Interviews werden nicht nach einem festen Frageraster durchgeführt; es handelt sich dabei eher um offene Gespräche, in deren Mittelpunkt zunächst der bevorstehende Wandel der Region steht. Als Medium der Veranschaulichung dieses Wandels fungierten diverse größerformatige Farbfotos, auf denen (in strukturähnlichen Regionen errichtete) WEA zu sehen waren. Die durch die Bilder evozierten Gespräche entwickelten sich nach den Präferenzen der Gesprächsteilnehmer. Der Interviewer verstand sich allein als "Gesprächsanimateur", Zuhörer und Verstärker, nicht als Fragensteller. In einem zweiten Gesprächsabschnitt wurden den Partnern diverse Farbfotos möglicher Standorte aus der Region vorgelegt, die zur Artikulation von Akzeptanz- oder Verweigerungsargumenten anregen sollten. Auch in diesem Gesprächsabschnitt galten die Regeln eines offenen, qualitativen Interviews (vgl. MAYRING 1990, WITZEL 1982, HOPF 1991).

Die Interviews wurden auf Band aufgezeichnet, transkribiert, um sodann in mehreren Stufen (zunächst ohne das Ziel der Interpretation zu verfolgen) verdichtet, inhaltlich sortiert und 'ausgemolken' zu werden. Es ergaben sich schließlich sachlich differenzierte und thematisch relevante Aussagenfelder (z.B. Anlagen neben Einzelhöfen, ... in sog. Parks, ... neben historischer Bebauung, ... in "offener Landschaft", ... inmitten emotionalisierter 'Bilder', schließlich zu Funktion und Sinn).

In einer vergleichenden und hypothesenorientierten Auswertung aller aggregierten Befunde konnten danach standortrelevante Aussagen getroffen werden. Dabei war zu berücksichtigen, daß aufgrund nicht angestrebter (und bei der eingesetzten Methode nur mit einem gigantischen Mittelaufwand einlösbarer) Ansprüche einer statistischen Repräsentativität nur solche empfehlenden Schlußfolgerungen formuliert  werden konnten, die inhaltlich unterhalb voraussichtlicher Konflikte lagen.

In der zum zweiten durchgeführten Expertenbefragung (Delphimethode; vgl. Wechsler 1978, Rauch/Wersig 1978) äußern sich Spezialisten in mehreren schriftlichen Gesprächsrunden zu dem komplexen und in sich differenzierten Gegenstand. Im Rahmen dieser Studie haben an der Delphibefragung teilgenommen: je ein (1.) Gemeindedirektor, (2.) Regionalplaner, (3.) Landschaftsplaner, (4.) Vertreter eines EVU, (5.) Vertreter einer Fremdenverkehrs-GmbH, (6.) Naturschutzexperte, (7.) Hochschullehrer für Ästhetik. Die Gesprächsleitung oblag der sozialwissenschaftlichen Projektleitung (hier Institut für Umweltforschung). Als einzige Vorgabe des kommunikativen Verfahrens wurde dort das Ausgangsproblem skizziert (i.S. von Punkt 1). Die Experten äußerten sich sodann zu diesem Problemaufriß schriftlich in sachlich differenzierten und größtenteils ausführlichen Statements. Die Ergebnisse dieser ersten Runde wurden durch den Projektleiter ausgewertet, um nun die Basis für einen  zweiten Umlauf zu bilden. Als Ergebnis eines dritten Durchlaufes konnte schließlich eine detail- und umfangreiche "Entscheidungshilfe zur Findung geeigneter Standorte von Windenergieanlagen" verfaßt werden, die die Kommunen bei der planerischen Lösung der anstehenden Aufgaben auf alle wichtigen Sachfragen aufmerksam macht.
 

3.1.2. Landschaftsplanerische Arbeitsmethoden

Bei der Erhebung der landschaftlichen Gestaltqualität konnte zwar auf den Landschaftsrahmenplan zurückgegriffen werden, die Aufgabenstellung erforderte jedoch eine detailliertere Bestandsaufnahme. Die relativ gleichförmige Landschaft der Wesermarsch machte eine problemorientierte Betrachtung unumgänglich, um einerseits Kriterien der Gestaltqualität ermitteln und andererseits räumliche Einheiten unterschiedlicher Sensibilität gegenüber der Errichtung von WEA differenzieren zu können.

Bei der Differenzierung von Untersuchungseinheiten wurde eine starre Rasterung von vornherein ausgeschlossen, da eine solche artifizielle Unterteilung der Landschaft keinen Bezug zum tatsächlichen Erleben besitzt. Das Untersuchungsgebiet wurde vielmehr mit einem Beobachtungsnetz überzogen, welches sich aus den Wegen und Straßen zusammensetzte, von denen der überwiegende Teil des Landschaftserlebens in der Wesermarsch tatsächlich stattfindet. Die Verwendung der Radwanderkarte im Maßstab 1 : 75000 erwies sich nicht nur vom Maßstab her als ideal, sondern erleichterte auch die Auswahl der erlebnisrelevanteren Wege bei der Aufnahme in das Beobachtungsnetz.

Das Untersuchungsgebiet wurde auf diese Weise in 80 Untersuchungsräume eingeteilt. Diese wurden von den sie umgebenden Wegen des Beobachtungsnetzes nach folgenden Kriterien beschrieben:

Sichtweite: Von erheblicher Bedeutung für die Empfindlichkeit einer Landschaft gegenüber der Errichtung von WEA ist die Sichtweite. Sie bestimmt den Raum, welcher von einem Standort aus eingesehen werden kann, und besitzt damit entscheidenden Einfluß auf das Landschaftserleben. Landmarken erhalten durch Sichtachsen eine besondere Wirkung.
Vertikale Strukturierung: Sie ergibt sich in der weiten, überwiegend horizontal angelegten Marschlandschaft im wesentlichen durch Gehölzbestände und Bebauung. Diese vertikalen Elemente bestimmen weitgehend die Räumigkeit bzw. Gliederung der Landschaft und begrenzen den Blick. Darüber hinaus ist ihre Anordnung maßgeblich am Zustandekommen landschaftlicher Eigenart und Vielfalt beteiligt.
Horizontbild: Ausgehend von der Annahme, daß WEA in vielen Fällen horizontbestimmend sein können, war die Beschreibung des Horizontbildes ein weiteres Kriterium der Erhebung.
Störungen, Belebungen: Ein weiteres bedeutsames Kriterium bei der problemorientierten Beschreibung von Landschaftsräumen ist die Frage, inwiefern Störungen oder Belebungen des Landschaftserlebens vorhanden sind. Die hiermit verbundene Wertung durch den Landschaftsplaner ging von der Annahme aus, daß für die verwendeten Wertstufen bzw. die Einstufung in solche ein allgemeiner Konsens besteht. Diese Einschätzung wurde durch die Ergebnisse der sozialwissenschaftlichen Erhebungen bestätigt.

Als "Belebungen" wurden eingestuft:

  •  Landmarken historischer Art (Beispiel: Kirchen und Windmühlen)
  •  natürliche Landschaftselemente, deren Anordnung eine Erhöhung der Vielfalt und Abwechslung sowie eine Gliederung der Landschaft und des Horizontes zur Folge hat (Beispiel: Gehölzgruppen, Hecken, Alleen),
  •  anthropogene Landschaftselemente, welche im Maßstab der sie umgebenden natürlichen Landschaftselemente bleiben und die oben genannten Effekte (Vielfalt, Abwechslung, Gliederung) bewirken (Beispiel: Einzelgehöfte).

Als "Störungen" wurden eingestuft:

  • Landmarken der technischen Zivilisation, welche aufgrund ihrer Unmaßstäblichkeit große Landschaftsräume dominieren. In vielen Fällen sind sie mit negativen Bedeutungsinhalten belegt (Beispiel: KKW Esenshamm, Bleiindustrie Nordenham),
  •  sonstige Elemente der technischen Zivilisation, welche aufgrund ihrer Ubiquität einen nivellierenden Effekt auf die Landschaft des Bearbeitungsgebietes ausüben und/oder den natürlichen Maßstab deutlich sprengen (Beispiele: Hochspannungsleitungen, Ferienhaussiedlungen, Großgebäude).

Nutzung: Als weiteres Kriterium wurde die Nutzung kartiert. Es zeigte sich jedoch, daß die Relevanz dieses Kriteriums aufgrund der überwiegenden Grünlandnutzung der Marsch von untergeordneter Bedeutung war.

Die Beschreibung der Kriterien erfolgte nach Möglichkeit dreistufig (hoch-mittel-gering) oder verbal. Die Kartierung wurde in einer EDV-Datenbank festgehalten, geordnet und dokumentiert. Da aufgrund der geringen ästhetischen Komplexität der Marschlandschaft nur relativ wenig Kriterien erhoben werden konnten, dafür jedoch das Beobachtungsnetz relativ engmaschig war, erschien eine grafische Auswertung der Ergebnisse in Form von Überlagerung auf Transparenten ideal. Eine solche Vorgehensweise ist grundsätzlich einer mathematischen Aggregation vorzuziehen, da sie - im wahrsten Sinne des Wortes - sehr transparent ist, das Aggregationsergebnis somit einfach nachvollzogen werden kann.

Von hoher Signifikanz erwiesen sich vor allem die Kriterien Sichtweite und Vertikale Strukturierung, welche in Verbindung mit den Störungen bzw. Belebungen eine deutliche Aussage über die visuell-ästhetische Vorbelastung eines Landschaftsaspektes geben konnten. Zusammen mit den aus der Kartierung des Landschaftsrahmenplanes übernommenen Sichtraumgrenzen (Vegetation) konnten auf diese Weise Landschaftsräume gleicher ästhetischer Qualität und Empfindlichkeit differenziert werden, wobei folgende Arbeitshypothesen zur Anwendung kamen:

1. Je höher die Sichtweite, um so höher die Empfindlichkeit;
2. Je geringer die Strukturierung, desto höher die Empfindlichkeit;
3. Je geringer die Vorbelastung, desto höher die Empfindlichkeit.

Durch die Ergebnisse der parallel verlaufenden sozialwissenschaftlichen Analyse wurden diese Arbeitshypothesen verifiziert und damit auf eine breitere Basis gestellt als auf das alleinige Urteil eines "Experten".

Zur Ermittlung der Gestaltqualität von WEA wurden bestehende Anlagen und Windenergieparks auf ihre landschaftsprägende Wirkung hin analysiert und fotografisch dokumentiert. Hierbei wurden sowohl unterschiedliche Bauweisen bei Einzelanlagen wie auch unterschiedliche Formen der Anordnung bei Windenergieparks untersucht. Die Erhebungen wurden im nordfriesischen und süddänischen Raum durchgeführt.
 

4. Ergebnisse

Die Ergebnisse der Untersuchung bestätigen sich in ihren verschiedenen methodischen Ansätzen wechselseitig. Darin drückt sich zweifellos eine hohe Validität der gesamten Studie aus. Das bedeutet aber nicht, daß auf eines oder gar zwei der methodischen Verfahren hätte verzichtet werden können. Die Ergebnisse stehen vielmehr in dem folgenden Verhältnis zueinander: Alle drei empirischen Zugriffe überschneiden sich in ihren essentiellen Resultaten und bilden so einen gemeinsamen, sich gegenseitig bestätigenden Pool von Erkenntnissen und Empfehlungen über eine natur- und sozialverträgliche Ausweisung von Standorten. Darüberhinaus weist aber jeder Ergebnisbereich seinen spezifischen Erkenntnisertrag aus. So ist es die Gesamtheit der Forschungsergebnisse, die die administrative und politische Verwertung der Studie auf eine breite Basis stellt.
 

4.1. Sozialwissenschaftliche Ergebnisse

Die wichtigsten Ergebnnisse werden in Form von Thesen zusammengefaßt dargestellt:

A) Touristen (wie Ortsansässige) sind der Nutzung regenerierbarer Energiequellen grundsätzlich aufgeschlossen gegenüber eingestellt.

B) Sowohl Touristen als auch Ortsansässige machen sich den bevorstehenden Wandel durch "schlechte" Vergleiche erträglich: "An Hochspannungsleitungen haben wir uns gewöhnt, dann werden wir uns auch an WEA gewöhnen." Es gibt viele dieser oder ähnlicher kognitiver Legitimationsstrategien, die in den qualitativen Interviews zum Ausdruck kommen. Diese legitimierenden Vergleiche sind nie als Zustimmungen zu bewerten! Es handelt sich hier viel eher um ästhetische Selbstdisziplinierungen, die als abgeklärte Vorbereitungen auf die bald vielleicht schon veränderte Erscheinung der Landschaft fungieren. Es ist die Einstimmung auf einen Wandel, der mehr oder weniger notgedrungen hingenommen werden muß - wenngleich für eine "gute Sache".

C) Der bevorstehende Wandel ist subjektiv nur sehr schwer vorstellbar und deshalb auch der Sozialforschung nicht unmittelbar zugänglich. In diese Indifferenz wirken zusätzlich die oben beschriebenen Variablen der politischen Moralisierung ein. Das führt zu Verzerrungen in der Antizipation; zwei Beispiele:

  •  Windenergie wird als politische und faktische Alternative zur Kernenergie gesehen (die Bundesregierung plant ab 1997 aber die Errichtung von 8 KKW zu je 1.300 MW )3;
  •  WEA werden als Superkraftwerke idealisiert ("ein paar Anlagen können ein KKW ersetzen"; ein 1.300 MW-KKW erfordert aber rd. 6.900 Anlagen zu je 400 KW bzw. über 900 Anlagen des Typs AEOLUS II mit je 3 MW);

Der Kern dieser und ähnlicher Aussagen liegt "hinter" dem Text: Rede und Sprache der Leute fallen auseinander. Geredet wird über fast grenzenlose Akzeptanz, gesprochen über Unsicherheit, Unbehagen und die (angenommene?) Moral, etwas positiv erleben zu müssen bzw. zu sollen. Eklatante Informationsdefizite werden überaus deutlich. Diese sind aber angesichts einer geradezu exzessiv betriebenen Öffentlichkeitsarbeit der zuständigen Ministerien eher Produkt als Mangel der Öffentlichkeitsarbeit, denn diese hat ganz offensichtlich weniger mit Aufklärung zu tun, als mit "mentaler Konditionierung."

D) Ortsansässige sehen den Wandel ihrer Umwelt politischer als Touristen. Für Ortsansässige geht es um die Umgestaltung der eigenen Lebenswelt, für Touristen dagegen nur um die Veränderung der Ausstattung einer Ferienwelt, die nach Belieben getauscht werden kann, wenn sie nicht mehr gefällt. Ferienwelten sind strukturell flüchtig; man kann sie auch als Oberflächen begreifen, die je nach Freizeit- und Erholungsbedarf gewählt, abgetastet und gegebenenfalls verworfen werden. Für Ortsansässige kommen dagegen weitaus vitalere Beurteilungskriterien ins Spiel. Für sie geht es um die Erhaltung der sozialen Perspektive identitätsstiftender Wege und Chancen der Umweltaneignung.

E) Regionansässige und Touristen empfinden die offene Marsch- bzw. Küstenlandschaft als so regionscharakteristisch, daß starke visuelle Eingriffe durch hohe WEA (mit drehenden Rotoren) als störend erlebt werden.

F) Insbesondere Touristen halten solche Standorte für besonders geeignet, "die man nicht sehen kann." Abgesehen davon, daß es diese aufgrund der Bauhöhe moderner Anlagen kaum geben kann, legt die Präferenz ein wichtiges Kriterium der Wahrnehmung frei: Solange die eigenen "Bilder" der Landschaft nicht durch Hinzufügung 'störender' Objekte 'beschädigt' werden, kann eine Entwicklung der Freizeittauglichkeit einer Region nichts anhaben.
An diesem Punkt verläuft die zentrale Konfliktlinie zwischen der Ästhetik der Einheimischen und der Ästhetik der Nichteinheimischen: dauerhafte und zeitlich befristete Identifikation stehen angesichts einer einschneidenden Umweltveränderung (zumindest latent) gegeneinander.

G) Als "gute" Standorte für WEA treten in der Wahrnehmung von Regionsansässigen und Touristen hervor: Standorte, die durch technische und gewerbliche Anlagen bereits stark aus dem kulturlandschaftlichen Gefüge herausgehoben sind. Anlagen werden in diesem Kontext als gewerbliche und - je nach räumlicher Konzentration - als Industrieanlagen gesehen. Dennoch birgt auch diese Präferenz ein Konfliktpotential, denn bereits belastete Räume können überlastet werden. Zur letztlichen Entscheidung über konkrete Standorte sind deshalb landschaftsplanerische Detailkonzepte zu erarbeiten.

Insgesamt haben die Ergebnisse aus der qualitativen Sozialforschung über die Expertensicht der Landschaftsplanung hinaus planungsrelevante Aufschlüsse über die soziale Akzeptanz von Landschaftsveränderung und Landschaftsplanung ergeben. Diese sind hilfreich für den Prozeß der administrativen und politischen Entscheidung unter dem Aspekt der Legitimation öffentlichen Handelns.
 

4.2. Landschaftsplanerische Ergebnisse

Die Analyse der landschaftlichen Gestaltqualität führte zu einer Unterscheidung von drei Empfindlichkeitsstufen:

Stufe I: Geringe Vorbelastung: Hohe Empfindlichkeit, WEA sollten grundsätzlich nicht errichtet werden.
Diese Stufe bezeichnet Landschaftsräume, welche sich durch hohe Sichtweiten bei etwa mittlerer vertikaler Strukturierung sowie weitgehende Freiheit von Elementen der technischen Zivilisation bzw. Sichtbeziehungen mit solchen auszeichnen. Die Strukturierung wird durch Gehölze bewirkt, welche zwar zumeist im Siedlungsbereich vom Menschen angepflanzt sind, jedoch in hohem Maße den Aspekt der Natürlichkeit bzw. den der einträchtigen Koexistenz von Mensch und Natur vermitteln. Derartige Landschaftsräume werden als charakteristisch für weite Teile der Wesermarsch angesehen, da das Landschaftsinventar keine überall vorzufindenden Elemente der technischen Zivilisation enthält. Bei der Einordnung der ermittelten Landschaftsräume in diese Stufe wird auch der Entwicklungsaspekt berücksichtigt, d.h. die Möglichkeiten, die sich (z.B. durch Abbau bestehender Hochspannungsleitungen) ergeben würden, soweit eine technische Machbarkeit aus heutiger Sicht realistisch erscheint.

Stufe II: Mäßige Vorbelastung, mittlere Empfindlichkeit, WEA sollten nur errichtet werden, wenn eine gute Einbindung in die Landschaft erzielt werden kann.
Diese Stufe bezeichnet Landschaftsräume, welche bereits von Elementen der technischen Zivilisation mitgeprägt sind und bei denen demzufolge der Bedeutungswandel der Landschaft schon eingeleitet ist. Darüber hinaus ist bereits durch die Normteile der technischen Zivilisation eine gewisse Nivellierung des Landschaftsbildes eingetreten, so daß die Errichtung von WEA diesen Effekt nicht oder nur unwesentlich zur Folge haben würde.

Stufe III: Hohe Vorbelastung: Geringere Empfindlichkeit, WEA sollten hier vorrangig errichtet werden.
Diese Stufe bezeichnet Landschaftsräume in der Nachbarschaft industrieller Anlagen oder solche, welche durch industriell anmutende Landwirtschaft geprägt sind. Die Errichtung von WEA würde hier keinen grundsätzlichen Bedeutungswandel der Landschaft zur Folge haben. Im Gegenteil ist durchaus denkbar, daß durch WEA in diesen Bereichen eine positive Assoziation der relativ umweltfreundlichen Nutzung regenerativer Energiequellen hervorgerufen würde, der den Wandel des gesellschaftlichen Bewußtseins hin zu mehr Verantwortung gegenüber der Umwelt dokumentieren könnte.
Im Untersuchungsgebiet konnten insgesamt 20 Landschaftseinheiten unterschieden und jeweils einer der drei genannten Stufen zugeordnet werden. Die Zuordnung wurde verbal begründet. Darüber hinaus wurde eine Kurzbeschreibung jeder Landschaftseinheit vorgenommen. Darüber hinaus wurden auch Hinweise für Entwicklungsmöglichkeiten und -maßnahmen in ästhetischer Hinsicht gegeben.
Die Analyse der Gestaltqualität von WEA und Windparks brachte umfangreiche Erkenntnisse über deren Erlebniswirkung, welche Aussagen zur Gestaltung derartiger Anlagen ermöglichten. Insgesamt wurden - neben den Standortpräferenzen - folgende Empfehlungen ausgesprochen4:

1. Eine optische Konkurrenz von WEA mit historischen Landmarken sollte unbedingt vermieden werden.

2. Eine optische Dominanz mehrerer Einzelanlagen sollte durch hinreichende Abstände (5 km in Landschaftsräumen mit hoher Sichtweite, 3 km in solchen mit mittlerer oder geringer Sichtweite) verhindert werden.

3. Einzelanlagen sollten niemals in der Mitte freier Landschaftsräume errichtet werden, sondern immer an deren Rand.

4. Bei Planung von WEA sollten zunächst die Betrachterpositionen, welche für das Erleben des geplanten Standorts wesentlich sind, ermittelt werden.

5. Der Standort sollte so gewählt werden, daß der Mastfuß und ein möglichst großer Teil des Mastes aus den wesentlichen Betrachterpositionen verdeckt sind. Erst wenn dies nicht möglich erscheint, sollten weitere Pflanzungen erwogen werden.

6. WEA, besonders Windenergieparks, sollten nach Möglichkeit aus axialen Betrachterpositionen wahrgenommen werden.

7. Bei der Anlage von Windenergieparks sollten alle Einzelanlagen das gleiche Konstruktionsprinzip aufweisen.

8. Im Interesse einer räumlichen Konzentration des Windenergieparks sollten die Abstände zwischen den einzelnen Anlagen möglichst gering gehalten werden.

9. Das Anordnungsprinzip der Einzelanlagen in einem Windenergiepark sollte von möglichst vielen Betrachterpositionen aus erkennbar sein.

10. Bei kleineren Windenergieparks mit einer Gesamtanzahl von unter 8 Anlagen sollte grundsätzlich eine ungerade Zahl von Anlagen errichtet werden.

11. Die Nabenhöhe bei Einzelanlagen sollte nicht mehr als 1/3 über die Höhe der maßstabsprägenden Landschaftselemente hinausragen. Höhere Anlagen sollten in der Nähe hochaufragender Elemente errichtet werden (z.B. in Hafennähe oder in die Nähe von Hochspannungsleitungen.

12. Masten sollten die Landschaft nicht dominieren. Sie sollten so schlank wie möglich sein und sich nach oben verjüngen. Ihre Farbgebung sollte sich der Landschaft anpassen; Schneeweiß sollte nicht zur Anwendung kommen.

13. Die Anzahl der Rotorblätter sollte immer ungerade sein, damit sich zwei Blätter nicht gegenüberliegen. Vorzugsweise sollten Dreiblattrotoren zum Einsatz kommen.

Die Anwendung der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung stellt einen sensiblen Punkt dar, weil in der öffentlichen Meinung oftmals die umweltpolitsch sinnvolle Nutzung der Windenergie den negativen Auswirkungen von WEA auf Natur und Landschaft gegenübergestellt wird (vgl. Pkt. 2). Es muß jedoch festgestellt werden, daß bei der Dimension der Anlagen (Nabenhöhen zwischen 50 und 100 m) ein ästhetischer Ausgleich, d.h. eine Integration in die Landschaft, allein aufgrund der hohen Sichtweiten und der Art der Anlagen nicht möglich ist. Die Notwendigkeit von Ersatzmaßnahmen für WEA wird nicht überall eingesehen, vor allem, wenn - wie in Niedersachsen - der Konflikt zwischen Naturschutz und Landschaftspflege einerseits und umweltpolitischen Zielen andererseits innerhalb des Umweltministeriums ausgetragen werden muß. Am Beispiel der Windenergienutzung ist festzustellen, daß die Wende in der Energiepolitik längst nicht umfassend genug ist, um Eingriffe in Natur und Landschaft effektiv zu reduzieren. Solange keine Tendenz zu grundlegenden Energiesparmaßnahmen erkennbar ist, macht auch eine verstärkte Nutzung von Wasser- und Windenergie aufgrund ihrer ökologischen und ästhetischen Eingriffe in Natur und Landschaft nur wenig Sinn.
 

5. Planung und Interdisziplinarität

Angesichts immer komplexer werdender Planungsprozesse muß der apodiktische Rückzug auf die fachliche Kompetenz zwangsläufig in die Isolierung führen. Gerade der Naturschutz zeigt sich von dieser Tendenz bedroht, obgleich er mit ständig wechselnden Fachpartnern umgehen muß: Landschaftsplaner, aber auch Naturschutzbehörden sind auf die Zusammenarbeit mit Biologen, Geographen, Ingenieuren und Spezialisten anderer Fachdisziplinen angewiesen. Es ist daher völlig absurd, die ästhetische Beurteilung von Eingriffen in die Landschaft allein aus "naturschutzfachlicher" Sicht vornehmen zu wollen, zumal die Sozialwissenschaft ein geeignetes Instrumentarium hierfür bereithält. Mit der fachübergreifenden Zusammenarbeit von Landespflege und Sozialwissenschaft ist im Landkreis Wesermarsch ein praktikabler Weg zur ästhetischen Beurteilung des durch die Nutzung der Windenergie verursachten Eingriffs beschritten worden. Dieser Weg endet nicht am Punkt der Ästhetik. Es ist festzustellen, daß Bedürfnisse von Tieren und Pflanzen z.B. im Rahmen von Umweltverträglichkeitsprüfungen eingehend untersucht werden, während jene der betroffenen Menschen "von oben" durch Politiker und Fachbehörden hinreichend vertreten scheinen. Die erheblichen sozialen Konflikte vor, während und nach der Durchführung von Projekten zeigen aber gerade, daß dies nicht immer den Erfordernissen der Betroffenen entspricht. Zur Antizipation derartiger Konflikte und zu deren Lösung bereits im Stadium der Planung stellt die qualitative Sozialforschung ein Instrumentarium zur Verfügung, welches im Rahmen interdisziplinär angelegter Prüfungen der Umwelt- und Sozialverträglichkeit zum Einsatz kommen kann. Diese Vorgehensweise hat sich am dargestellten Beispiel bewährt.
 

6. Literatur

BREUER, W. (1991): Grundsätze für die Operationalisierung des Landschaftsbildes in der Eingriffsregelung und im Naturschutz insgesamt; in: Info-Dienst Naturschutz Niedersachsen 11, Nr. 4, S. 66 - 68.
HARD, G. (1991): Landschhafft als professionelles Idol; in: Garten + Landschaft, H. 3, S. 13 - 18.
HASSE, J./ SCHWAHN, CHR. (1992): Windkraft und Ästhetik der Landschaft, Beispiel Wesermarsch, interdisziplinäre Studie in drei Teilen, im Auftrage des Landkreises Wesermarsch,  Bunderhee und Göttingen.
HOPF, CHR. (1991): Befragungsverfahren; in: FICK, U. u.a. (Hrsg. 1991): Handbuch Qualitative Sozialforschung, München.
MAYRING, P. (1990): Einführung in die qualitative Sozialforschung, München.
RAUCH, W. / WERSIG, G. (1978): Delhi-Prognose in Information und Dokumentation, München u.a.
SCHWAHN, CHR. (1990): Landschaftsästhetik als Bewertungsproblem, Beiträge zur räumlichen Planung, H. 28, Schriftentreihe des Fachbereichs Landespflege der Universitsät Hannover.
WECHSLER, W. (1978): Delphi-Methode, Wirtschftswissenschaftliche Forschung und Entwikklung, Bd. 18, München.
WENZEL, J. (1991): Über die geregelte Handhabung von Bildern; in: Garten + Landschaft, H. 3, S. 19 ff.
WITZEL, A. (1982): Verfahren der qualitativen Sozialforschung, Frankfurt/M.
ZUR LIPPE, R. (1987): Sinnenbewußtsein, Reinbek.
 
Fußnoten:
1) Der Beitrag stützt sich auf die interdisziplinäre Studie "Windkraft und Ästhetik der Landschaft: Wesermarsch", die im Auftrage des Landkreises Wesermarsch duchgeführt und im Sommer 1992 abgeschlossen worden ist, vgl. Hasse, J. und Chr. Schwahn, 1992).
2) Es kann im Rahmen dieses Beitrages nur angedeutet werden, daß das Naturschutzrecht mit den Begriffen "Schönheit", "Natur" und "Landschaft" eklatante Bedeutungs-Leerräume hinterläßt. Die juristische Interpretation und Explikation wird auch nicht annähernd dem Stand der gegenstandsspezifischen Diskussionen in den betreffenden sozialwissenschaftlichen Disziplinen gerecht (z.B. Soziologie, Philosophie). "Landschaft" wird deshalb hier im hermeutischen Sinne verstanden (vgl. o.). Aus denselben Gründen wird der Begriff der "Schönheit" hier nicht als normatives Kriterium verwendet. Anstelle dessen wird der Begriff der "Ästhetik" als Prozeß-Dimension mimetisch hergestellter Mensch-Umwelt-Beziehungen gebraucht.
 3) FAZ vom 12.12.1991 (Nr. 288), S. 5 (Bonn begrüßt kombinierte Kohlendioxyd- und Energiesteuer).
 4) Interessant ist die Feststellung, daß Paul Gipe auf einem anderen Kontinent und etwas später sehr ähnliche Feststellungen gemacht hat: Design as if People Matter: Aesthetic Guidelines for the Wind Industry. Tagungsbeitrag für Bellagio, Veröffentlichung geplant (20.01.2002, Academic Press, USA).