Wahrnehmung und Bewertung der Landschaft in Deutschland

Vortrag, gehalten in französischer Sprache auf dem Salon des Energies Renouvelables am 28. Februar 2003 in Lyon (Eurexpo)

Frankreich rüstet sich für die Anforderungen der EU, regenerative Energien verstärkt auszubauen. In diesem Zusammenhang hat das Land erheblichen Nachholbedarf, was insbesondere die Windenergie anbetrifft.

Die ästhetische Herausforderung der Windenergie wird allerdings erheblich besser erkannt als in Deutschland. In einem Land, dessen Bauwerke wie die Autobahn und der TGV bis heute einen definitiven architektonischen Gestaltungswillen erkennen lassen (der hierzulande - wenn er überhaupt existiert hat - schon längst dem Rotstift zum Opfer gefallen ist), in Frankreich also wird man sich einiges mehr einfallen lassen als die Anlagen einfach aufzustellen. Bereits heute ist von der Schaffung "neuer" Landschaften die Rede. Umgestaltung mit Hilfe von Windenergie? Man darf gespannt sein, ganz ehrlich.

Im Zuge der Messe "SALON DES ENERGIES RENOUVELABLES" vom 26. - 28. Februar 2003 fand am 28. Februar eine Vortragsveranstaltung mit dem Thema "Les nouvelles paysages d´éolien" (Die neuen Landschaften der Windenergienutzung) statt. Aufgrund unserer Veröffentlichung in den USA wurden Paul Gipe und ich als Referenten eingeladen. Die Tagung wurde von der CAUE Ardèche organisiert, einer halbstaatlichen Institution, die sich mit Architektur, räumlicher Planung und Landschaft / Umwelt befasst. Hier mein Vortrag in der deutschen Fassung:

1.
Als ich vor über zehn Jahren die erste Studie über den Einfluss von Windenergieanlagen auf die Landschaft dem Präfekten des Landkreises Wesermarsch übergab, fragte er mich, warum denn so viel Widerstand gegen die Nutzung der Windenergie auftrete, wo doch dies ganz eindeutig der Umwelt zugute käme. Ich antwortete ihm, dass Windenergieanlagen die Landschaft verändern würden und dies von vielen als negative Auswirkung empfunden würde. Aber nein, sagte er, was für die Umwelt gut ist, kann doch für die Landschaft nicht schlecht sein!

Mir wurde deutlich, dass die Bedeutung der Begriffe "Umwelt" und "Landschaft" dem guten Mann offenbar nicht klar waren. Damit befand er sich in guter Gesellschaft. Das Gutachten, welches ich zusammen mit Professor Jürgen Hasse für den Landkreis Wesermarsch erstellt hatte, war aus dem gleichen Grund von der Landesregierung Niedersachsens für unnötig gehalten worden. Schließlich jedoch setzte sich der Landkreis mit seiner Forderung einer Studie durch. Er hatte schließlich zu entscheiden, wo Anlagen errichtet werden sollten und wo nicht.

Es macht Sinn, sich mit der Unterschiedlichkeit der Begriffe "Landschaft" und "Umwelt" zu beschäftigen. Der Hintergrund ist zwar philosophischer Natur, hat aber deutliche Auswirkungen auf die tägliche Praxis.

Die Umwelt des Menschen liefert seine Lebensgrundlage. Reine Luft zum Atmen, sauberes Wasser zum Trinken, gesunde Lebensmittel sind die Voraussetzungen einer Existenz in Gesundheit. Die Natur dieser Voraussetzungen ist eindeutig materieller Art.

Diese materiellen Voraussetzungen sind jedoch nicht alles, was der Mensch zum Leben braucht. Liebe, Schönheit und ein Ort, mit dem er sich besonders identifizieren kann, sind weitere, wichtige Voraussetzungen für eine befriedigende Existenz. Sie sind eindeutig ideller Art.

Diese unterschiedlichen Bedürfnisse bestimmen die Sichtweise des Menschen auf seinen Lebensraum. Zumindest im deutschen Sprachgebrauch wird der Begriff "Umwelt" in Verbindung mit den materiellen Lebensgrundlagen von Mensch, Tier und Pflanze verwendet. Umwelt ist der Lieferant von sauberem Wasser, von reiner Luft, von gesunden Lebensmitteln. Interessanterweise hat sich dieser Begriff erst im allgemeinen Sprachgebrauch verankert, als das Wasser nicht mehr sauber, die Luft nicht mehr rein und die Lebensmittel durch Reste von Chemikalien nicht mehr so gesund waren und daher für den Schutz der Umwelt etwas getan werden musste.

"Landschaft" hingegen hat seinen festen Platz im Kontext des menschlichen Erlebens. Man spricht von grandiosen Urlaubslandschaften, von Schönheit der Landschaft ebenso wie von häßlichen, unattraktiven Landschaften. Es gibt Landschaftsmalerei, Landschaftsgestaltung, Landschaftsverschönerung. All diese Attribute Verknüpfung von Begriffen - eine Besonderheit der deutschen Sprache - sind mit dem Begriff "Umwelt" undenkbar.

So spricht viel dafür, dass der Begriff "Umwelt" in erster Linie materiell verstanden wird, während der Begriff "Landschaft" einen hohen Anteil ideeller Konnotationen aufweist. Ich kann hier nur für die deutsche Sprache reden, weil mir die Bedeutung der französischen Begriffe nicht so geläufig ist wie jene meiner Muttersprache. Aber da ich bereits viele Parallelen der sprachlichen Entwicklung festgestellt habe, könnte auch in der französischen Sprache eine ähnliche Trennung existieren. Sie, meine Damen und Herren, werden es besser wissen.

2.
Kommen wir auf die Nutzung der Windenergie zurück. Sie ist ohne Zweifel ein Fortschritt bei der Schaffung gesunder Umweltverhältnisse, denn die Verunreinigung von Luft, Wasser und Böden hat zu einem erheblichen Teil ihre Ursache in der Erzeugung elektrischer Energie aus fossilen Brennstoffen. Und so kann man meinen Präfekten verstehen, wenn er die Nutzung der sauberen Windenergie für eine gute Sache hält.

Stellen wir uns nun vor, ein Windpark würde genau hinter seinem Wohnhaus mit Blick auf das Meer geplant werden. Würde er vor dieser Perspektive auch noch uneingeschränkt sagen können, es handle sich um eine gute Sache? Wohl weniger, zumindest, wenn er nicht finanziell am Gewinn der Anlage beteiligt wäre.

Wir erkennen, dass bei der Beurteilung von Windenergie viele Faktoren eine Rolle spielen, aus deren Bandbreite ich vier Beispiele nennen will:

  • die allgemeine materielle: Windenergie sorgt für eine saubere Umwelt
  • die persönliche materielle: Windenergie macht sich für mich bezahlt, z.B. weil ich die Flächen besitze, auf denen Anlagen errichtet werden könnten,
  • die allgemeine ideelle: Landschaften werden durch Windenergie verändert (dies wird zunächst meist negativ beurteilt)
  • die persönliche ideelle: Windenergieanlagen haben hinter meinem Haus nichts zu suchen, sie stören meinen Ausblick.

Es ist nicht einfach, vor dem Hintergrund derartig unterschiedlicher Wertungen einheitliche Grundlagen zur räumlichen Planung von Windenergieanlagen zu erlassen - und sicher ist dies auch aus diesem Grund in meinem Heimatland unterblieben.

Dennoch ist es gerade in einer pluralistischen Gesellschaft die Pflicht der öffentlichen Verwaltung, sich mit neuen Entwicklungen in einer Form auseinandersetzen, die eine Grundlage für einen gesellschaftlichen Konsens vorbereitet. In diesem Zusammenhang ist es notwendig, die unterschiedlichen Argumente bei der Beurteilung eines Vorhabens zu kennen und ihnen spezifische Stellenwerte bei der Bildung einer Entscheidung zuzuweisen. Die Beurteilung eines Windenergie-Projektes durch jemanden, der als Investor auftritt und sich Gewinne erhofft, hat einen anderen Stellenwert als die Beurteilung durch Nachbarn, die sich durch rhytmischen Schattenwurf gestört fühlen, und diese wiederum ist anders einzuschätzen als die Beurteilung von Ortsfremden, die nicht mehr die gewohnte Urlaubslandschaft vorfinden.

In Deutschland wurde von den Befürwortern der Windenergienutzung häufig argumentiert, die Einwände gegen die ästhetische Veränderung der Landschaft wären subjektiv. Auch Windenergieanlagen könnten als schön empfunden werden - nach einer Phase der Gewöhnung.

Das erste Argument ist zweifellos zutreffend: natürlich ist die Beurteilung ästhetischer Kriterien eine Angelegenheit des Einzelnen - und damit subjektiv. Eine objektive Beurteilung der Schönheit einer Landschaft ist nicht möglich. Da in der Diskussion um die Nutzung der Windenergie ästhetische Kategorien stets mit der Befürchtung vorgetragen wurden, das Bild der Landschaft würde negativ verändert werden, haben die Befürworter der Windenergie dieses Argument mit der Bemerkung beiseite schieben wollen, es wäre subjektiv und die ästhetische Beurteilung einer Landschaft Geschmackssache.

Wenn die Dinge so einfach wären! Die Unterschiedlichkeit von Werten - objektiv oder subjektiv - ist allein noch kein Argument für ihre Gewichtung. Ideelle Bedürfnisse - wie Schönheit - lassen sich nicht objektiv quantifizieren, genießen dennoch hohen Stellenwert als Existenzgrundlage. Materielle Bedürfnisse - wie Nahrungsmittel- oder Energieverbrauch - sind zwar objektiv quantifizierbar. Aber auch das allein beinhaltet keine absolute Wertkategorie. Wir essen dreimal so viel wie wir vertragen, und unser Material- und Energieverbrauch übertrifft den ärmerer Gesellschaften um ein Vielfaches. National wie global ist der Zustand der Umwelt, den wir heute bedauern, Ausdruck eines übersteigerten materiellen Bedürfnisses der einen - auf Kosten der Grundbedürfnisse der Anderen!

Es gibt daher keinen Grund, die ästhetischen Bedürfnisse der Einwohner einer Region als "Geschmackssache" zu ignorieren. Die subjektive Beurteilung des Individuums kann sich in vielen Aspekten jener des Nachbarn ähneln. Die Gemeinsamkeit subjektiver Urteile - auch als "Intersubjektivität" bezeichnet - ist ein Kriterium, welches bei einer fundierten Entscheidungsfindung eine wichtige Rolle spielen sollte.

3.
Ich möchte Ihnen nun berichten, auf welche Weise Entscheidungen über Standorte von Windenergieanlagen und Windparks durch Landschaftsarchitekten vorbereitet werden können. Unsere Aufgabe besteht darin, den Verantwortlichen entscheidungsrelevante Argumente bei der Auswahl möglicher Standorte ebenso zu liefern wie bei der Definition von Landschaften, die frei von Windenergieanlagen bleiben sollen. Die Grundlage hierfür kann durch eine Analyse der Landschaft geschaffen werden.

Starre Methodiken sind kaum geeignet für die Beurteilung spezifischer Landschaften. Eine Ebene wie die Camargue erfordert eine andere Vorgehensweise als eine Gebirgsregion wie das Ardèche. Es ist daher sinnvoll, die zu erhebenden Kriterien in genauer Kenntnis der regionalen Eigenart zu definieren.

Kriterien, die für die ästhetische Beurteilung von Landschaften besonders relevant sind, orientieren sich an den Gesetzmäßigkeiten der Wahrnehmung. Da Wahrnehmung die objektive Voraussetzung für eine subjektive ästhetische Beurteilung ist, können diese Kriterien auf einer weitgehend objektiven Ebene erhoben werden.

Im Nahbereich des Erlebens von Windenergieanlagen treten einige signifikante Auswirkungen auf, denen man mit großer Sicherheit eine negative Beurteilung unterstellen kann. Es sind dies die Geräuschentwicklung und der Schattenwurf. Während die Geräuschentwicklung von den meisten Menschen als bedrohlich wahrgenommen wird, hat der rhytmisch wiederkehrende Schatten der Rotorblätter in kurzer Zeit die vollständige Enervierung der Betroffenen zur Folge. Nur durch eine geeignete Standortwahl, abseits von Siedlungen und frequentierten Orten, kann eine Betroffenheit der Menschen durch diese Auswirkungen verhindert werden. Eine Studie über die Lage des Schattens über alle Jahres- und Tageszeiten ist daher in jedem Fall empfehlenswert.

Während Geräuschentwicklung und Schattenwurf unvermeidliche Auswirkungen sind, hat man den in Deutschland so genannten Disco-Effekt durch eine entsprechende Oberflächengestaltung der Rotorblätter in den Griff bekommen. Es handelt sich hierbei um die Reflexion der Sonnenstrahlen von den Rotoren, die bestimmte Orte rhytmisch treffen und sich ähnlich enervierend auswirken wie der Schattenwurf.

Im Fernbereich des Erlebens ist die Wahrnehmung von Windenergieanlagen ausschließlich auf den visuellen Aspekt beschränkt. Von erheblicher Bedeutung für die ästhetische Relevanz von Windenergieanlagen ist hier die Sichtweite. Sie bestimmt, von wie vielen Standorten ein Windpark wahrgenommen werden kann. Es ist daher sinnvoll, den Sichtraum zu analysieren, von dem die Anlagen bis zu ihrem Fuß gesehen werden können.

Die vertikale Struktur einer Landschaft wird bestimmt durch natürliche Elemente wie Wälder, Gehölzreihen und einzelne Bäume sowie anthropogene Elemente wie Gebäude, Türme und Masten. Sie ist neben dem Relief verantwortlich für die Bildung von Landschaftsräumen, die als Einheit erlebbar sind. Darüber hinaus bestimmt sie auch die "Nachbarschaft" von Windenergieanlagen: in einer Landschaft ohne vertikale Strukturen werden solche Anlagen erheblich stärker in Erscheinung treten als in einer vertikal gegliederten Landschaft.

Dies führt uns zur Betrachtung des Maßstabes einer Landschaft. Diesen kann man definieren als das Verhältnis der Ausdehnungen der Elemente, aus denen sich die Landschaft zusammensetzt. In flachen Landschaften ist der horizontale Maßstab aufgrund der hohen Sichtweiten sehr groß, während der vertikale Maßstab demgegenüber klein wirkt. Er wird im Wesentlichen durch die genannten vertikalen Elemente vorgegeben. Der vertikale Maßstab einer Landschaft wird in flacheren Landschaften meist durch Bäume erzeugt, welche hier die höchsten natürlichen Elemente sind. In gebirgigen Landschaften tritt das Relief zunehmend als vertikaler Maßstabsbildner in den Vordergrund.

Anthropogene Elemente wie Gebäude, Türme und Masten können den natürlichen Maßstab einer Landschaft empfindlich sprengen, wenn ihre Höhe die Höhe der bisher maßstabsbildenden Elemente der Landschaft deutlich übersteigt. Tritt dieser Fall vermehrt auf - z.B. bei Errichtung eines Windparks - wird ein neuer landschaftlicher Maßstab geschaffen.

Damit sind wir bei Signifikanz der Erscheinung angelangt. Die Erscheinung von Windenergieanlagen wird längst nicht allein durch unterschiedlicher Entfernungen zwischen dem Betrachter und den Anlagen bestimmt. Mindestens ebenso maßgeblich ist ihre Position in der Eigenart des sie umgebenden Landschaftsraumes.

Masten auf Bergkuppen sind besonders auffällig, denken Sie an den Mt. Ventoux oder den Mt. Aigoual. Dies beinhaltet jedoch noch keineswegs die Aussage, dass dies grundsätzlich negativ empfunden würde. Vor allem der Mt. Aigoual ist aufgrund der baulichen Anlagen auf seinem Gipfel aus den langgestreckten Höhenzügen der Cévennen besonders gut zu identifizieren. Ich weiß nicht, ob es im Französischen ein Äquivalent des englischen Begriffs ´landmark´gibt, der im Deutschen als ´Landmarke´ nahezu identisch in Wort und Bedeutung ist. Es handelt sich hierbei um meistens antropogene Merkmale eines Ortes, welche diesen in seiner Umgebung unverwechselbar in Erscheinung treten lassen. Windenergieanlagen und Windparks können durchaus geeignet sein, diesen Effekt auszulösen. Allerdings ist zu bedenken, dass eine inflationäre Ansammlung ähnlicher Bauwerke auf ähnlichen Standorten das Gegenteil bewirken kann - nämlich eine Nivellierung der landschaftlichen Eigenart. Dieses Phänomen ist uns vom Beispiel der Hochspannungsmasten bekannt.

Die Veränderung einer Landschaft durch Windenergieanlagen ist weiterhin besonders groß, wenn die Anlagen in der Silhouette des Horizonts in Erscheinung treten. Selbst weit entfernte Anlagen werden in dieser Position noch erkennbar. Daher ist ein besonderes Augenmerk darauf zu legen, signifikante Silhouetten von frequentierten Standorten zu identifizieren. Vor dem Hintergrund von Bergen hingegen sind Windenergieanlagen erheblich weniger wahrnehmbar, vor allem, wenn ihre Farbgebung einen Kontrast verhindert.

Die Signifikanz der Erscheinung wird auch verstärkt, wenn sich Anlagen in direkter Linie einer blickführenden Achse befinden, zum Beispiel in einem langgestreckten Tal oder in Verlängerung eines Verkehrsweges. Die Berücksichtigung der Gesetzmäßigkeit, dass man den Blick lieber in die Weite richtet und bei Bewegung vorzugsweise nach vorn sieht, ist spätestens seit den Gärten André le Notres mit ihren großen Achsen ein Grundsatz bei der Landschaftsgestaltung. Will man also Anlagen besonders in Erscheinung treten lassen, sind derartige Perspektiven zu suchen. Allerdings ist mir kein Fall bekannt, in dem Windenergieanlagen aufgrund ästhetischer Positivkriterien ihren Platz erhalten haben. In Deutschland gilt meist die Umkehrung: signifikante Standorte sind von Windenergieanlagen frei zu halten.

Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen bis jetzt die wesentlichen Kriterien genannt, deren Erhebung zur Analyse einer Landschaft in Hinblick auf die Errichtung von Windenergieanlagen sinnvoll ist. Eine solche Analyse besitzt zwar einen großen Grad an Objektivität, ist jedoch noch kein Wertmaßstab. Um eine Wertung zu treffen und dabei der Gesetzmäßigkeit gerecht zu werden, dass Ästhetik stets subjektiv beurteilt wird, ist ein weiterer Arbeitsschritt notwendig.

Oberste Regel beim Übergang von der objektiven in die subjektive Sphäre ist die Gewährleistung von Transparenz. Halten wir uns das Ziel vor Augen: die Herstellung eines möglichst umfangreichen Konsenses bei der Neugestaltung einer Landschaft, die nichts Geringeres als die Heimat darstellt, den Lebensraum, der eine Grundlage der Identifikation für die hier lebenden Menschen bedeutet. Es ist daher unerläßlich, die Beurteilung der genannten Kriterien mit Hilfe von Hypothesen zu vollziehen, um den Betroffenen eine Chance zur Artikulation zu geben, z.B. "dies ist für mich zutreffend" oder "ich beurteile dies anders". Bei der Betroffenheit einer größeren Anzahl von Menschen sollte die landschaftliche Studie von einer Beteiligung der Betroffenen begleitet werden. Die moderne Sozialwissenschaft bietet ein gutes Spektrum an Methoden, welche geeignet sind, die ästhetische Betroffenheit unabhängig von vordergründigen Argumenten zu ermitteln.

Viel ungeeigneter, als dies immer erscheint, ist eine Simulation der geplanten Anlagen mittels einer Foto- oder einer Videomontage. Diese objektiv und klar erscheinenden Bilder entsprechen nur einem Bruchteil der Erscheinungsformen, die tatsächlich möglich sind: morgens oder abends, bei gutem Wetter oder schlechter Sicht, im Winter oder Sommer. Ihr analytischer Charakter ist darüber hinaus minimal. Weit besser eignen sich Handzeichnungen, die dem Betrachter noch ein Stück eigener Imagination offen lassen. Sehr hilfreich sind überdies Geländeschnitte, auf denen die Sichtlinien von signifikanten Standorten der Wahrnehmung auf die Anlagen dargestellt sind. Sie ermöglichen darüber hinaus auch die Darstellung der Wirksamkeit flankierender Maßnahmen, zum Beispiel einer gezielten Bepflanzung.

4.
Zu guter Letzt möchte ich nochmals auf das Grundsätzliche zurückkommen. Landschaft ist stets mehr als die Summe ihrer Bestandteile; sie hat einen Ausdruck, erweckt Gefühle. Bei der verstärkten Nutzung der Windenergie ergibt sich stets eine Veränderung dieser Wirkungen von Landschaft. Die Frage ist nur, wie diese Veränderung aussehen soll. In Deutschland scheint es meist um die Frage zu gehen: wie lassen sich Windenergieanlagen am besten verstecken? Aber dafür sind Anlagen mit einer Höhe von über 100 Metern wenig geeignet.

Spätestens beim Thema Windenergie sollte eine Sensibilität für die Landschaft geweckt werden. Was eigentlich ist die Aussage einer bestimmten Landschaft? Ist sie städtisch, industriell, pastoral, bukolisch? Welche Elemente sind für diese Aussage maßgeblich, und welche baulichen Veränderungen könnten diese Aussage gefährden? Soll diese Aussage als Ausdruck einer historischen Landnutzung erhalten und den Nachkommen überliefert werden? Ist diese Aussage noch zeitgemäß, oder fügt sich die geplante Veränderung in das System der wirtschaftlichen Entwicklung einer gesamten Region ein, denken sie an die Entwicklung des Küstenraumes rund um das Rhonedelta vor dreißig Jahren?

Im Zuge einer solchen Entwicklung, die eine Vielzahl an Überlegungen zur räumlichen Planung erfordert, ist die Erarbeitung einer Zielvorstellung über die ästhetische Entwicklung der betroffenen Landschaft angezeigt. Für mich ist in Frankreich ein erheblich höherer Gestaltungswille erkennbar als in Deutschland, beispielsweise bei der neuen Autobahn im Jura oder bei Brücken der TGV-Linie Lyon-Marseille. Ich habe keinen Zweifel daran, dass hierzulande der Herausforderung, die eine verstärkte Nutzung der Windenergie für die Neugestaltung von Landschaften beinhaltet, in angemessener Weise begegnet wird.