Möglichkeiten und Grenzen bei der Gestaltung einer neuen Landschaft
Christoph Schwahn (Download PDF beim Klicken auf die Überschrift)
Vor nicht ganz einem Jahr habe ich, nicht weit von hier, einen Vortrag über Windkraft und Ästhetik gehalten, der letztlich den Ausschlag dafür gegeben hat, dass ich heute auf dieser Konferenz zu Ihnen sprechen darf.
Der Vortrag endete mit einer Vision großer Windenergieanlagen auf den Höhen des Thüringer Waldes, einer Landschaft, die unter heutigen Aspekten sicherlich zu den Bereichen zählen dürfte, die grundsätzlich von Windenergieanlagen frei zu halten sind.
Ich führe ein kleines Büro für Landschaftsarchitektur in Göttingen, habe über Ästhetik promoviert und bin aufgrund der damals noch frischen Veröffentlichung meiner Dissertation sehr früh mit dem Thema Windkraft in Berührung gekommen, nämlich bereits 1992. Wir haben damals in einem interdisziplinären Forschungsprojekt von Landschaftsarchitektur und empirischer Sozialforschung regionalplanerische Grundsätze für die Errichtung von Windkraftanlagen im Landkreis Wesermarsch erarbeitet, was damals sehr beachtet wurde, weil die Landesregierung derartige Grundsätze nicht wollte. Bis heute existieren in Niedersachsen, dem zweitgrößten Flächenland mit der zweitlängsten Küstenlinie, keine rechtsverbindlichen Vorgaben für die Errichtung von Windenergieanlagen. Das Ergebnis ist nicht nur eine erhebliche Rechts-Unsicherheit, sondern auch eine Zufälligkeit in der Anordnung von Windenergieanlagen, die sich im Bild der Landschaft manifestiert und die bei stärkerer Verdichtung durchaus den subjektiven Eindruck eines Chaos hervorrufen kann.
Da ich als Landschaftsarchitekt eine Vielzahl von Projekten planerisch begleite, ist auch die Hektik der Energiewende in den vergangenen Monaten nicht an mir vorbeigegangen.
An der Basis sah die Energiewende folgendermaßen aus: Wer Geld und Land hatte, baute Photovoltaik, um sein Kapital für zwanzig Jahre gut zu verzinsen. Wer Landwirtschaft hatte, schuf sich mit der Bioenergie einen profitablen Betriebszweig, um Abnahmesicherheit und garantierte Preise zu erhalten. Nachdem die Politik den Startschuss für diese Entwicklung gegeben hatte, reagierte sie nur noch, statt zu agieren. Aufgrund des sprunghaften Wachstums von Biogas, Windenergie und Photovoltaikanlagen, das sich anders offenbar nicht steuern ließ, wurden mehrfach kurzfristig die Rahmenbedingungen für die Einspeisevergütung geändert. Auf diese Weise wurden einige Firmen der Solarbranche in die Insolvenz geschickt, und unsere Planung hechelte von einem Stichtag zum anderen.
Kennzeichnend für PV- und Biogasvorhaben war regelmäßig ein enormer Zeitdruck, weil jede Anlage nur wenige Monate nach Beginn der Planung zu einem bestimmten Termin in Betrieb genommen werden musste – wie auch immer. Trotz des Zeitdruckes und einer nicht immer optimalen Planung gehen die Bauleitpläne bei Biogas- und PV-Vorhaben vergleichsweise glatt durch die Bürgerbeteiligung. Anders bei den Windkraftanlagen. Kennzeichnend für Windenergieprojekte ist nach wie vor die extrem hohe Anzahl von ablehnenden Stellungnahmen, vor allem aus dem Kreis der Bürger.
Woran liegt das? An den Umweltauswirkungen?
Ich will hier nicht im Einzelnen auf die Umweltauswirkungen von Bioenergie und Freiland-Photovoltaik eingehen, die in der letzten Zeit genügend öffentlich diskutiert worden sind. Im Kontext dieser Umweltauswirkungen präsentiert sich die Windenergie jedenfalls durchaus wettbewerbsfähig, wenn es allein um die ökologischen Auswirkungen geht. Relativ geringer Flächenanspruch, wenig Versiegelung, kaum umweltgefährliche Stoffe, geringes Risiko für die Schutzgüter, Boden, Wasser, Klima/Luft, Mensch und Gesundheit. Der Vogelschlag an Windenergieanlagen ist regelmäßig ein großes Problem, ebenso die Befeuerung der hohen Anlagen. Gleichwohl ist festzustellen, dass sich kaum jemand um den Vogelschlag an Verkehrswegen und an den Glasfassaden großer Gebäude kümmert, und im Vergleich mit den Scheinwerfern der vielen Fahrzeuge, die des Nachts unsere Landschaften und Städte durchflackern, sind die Lichtblitze zur Verhinderung von Kollisionen des Rettungshubschraubers an den Anlagen sicherlich die geringere Beeinträchtigung.
Im Zuge einer Flächennutzungsplan-Änderung zur Ausweisung von Sondergebieten für Windenergie, die ich gerade vorbereite, habe ich bereits im Verfahren der frühzeitigen Bürger- und Behördenbeteiligung 2.259 Einsprüche zu behandeln. Die meisten von ihnen kommen von Privatpersonen, und hier fällt auf: die Leute haben massive Angst vor den Anlagen. Sie befürchten Landschaftsverspargelung, Disco-Effekte, Lärm und hier vor allem den unhörbaren und angeblich sehr gefährlichen Infraschall, Blitze durch die Kollisionswarnanlagen und Wertverlust ihrer Grundstücke. Und da sie eigentlich nichts gegen erneuerbare Energien haben, empfehlen sie, die Anlagen doch woanders aufzustellen.
Na klar, denken Sie, St. Florians-Prinzip, das kennen wir alle. Aber ganz so einfach ist es nicht.
In Göttingen befinden wir uns im Zentrum Deutschlands in der Nord-Süd-Schiene, und so haben wir uns auch mit dem Planfeststellungsverfahren für die neue Höchstspannungsleitung Mecklar-Wahle zu befassen. Die Grundzüge der Planung stammen aus der schon fast vergessenen Epoche der Betriebszeitenverlängerung für Kernkraftwerke. Trotz der Energiewende ist auch heute noch als Begründung in den Planfeststellungsunterlagen nachzulesen, dass Aufgabe der Leitungen der Transport des in der Nordsee erzeugten Windstroms nach Süddeutschland ist. Als ob dort kein Wind wehen, keine Sonne scheinen, kein Wasser fließen und keine Pflanzen wachsen würden, und als ob der Strom aus den küstennahen Kernkraftwerken Unterweser (1410 MW), Brunsbüttel (806 MW) und Krümmel (1316 MW), also insgesamt 3532 MW nicht bereits versiegt wäre.
Man könnte jetzt einwenden: in der Nordsee ist doch viel mehr Windpotenzial, da sind die Anlagen doch viel wirtschaftlicher als im Binnenland.
In der Tat: die Ausbeute an Windstrom ist bei Offshore-Anlagen viel konstanter und ergiebiger als im Binnenland. Aber bekanntlich ist der Gewinn nicht gleich dem Umsatz, denn die Kosten sind abzuziehen. Zwar erfährt man keine Daten über Kosten, aber die Einspeisevergütung für Offshore-Anlagen ist deutlich höher als für Anlagen im Binnenland. Und erst kürzlich wurde offenbar, dass es auch ein erhebliches Risiko für die Abnahme dieser sehr bedarfsfern erzeugten Energie gibt, da beschlossen wurde, dieses dem Verbraucher über die EEG-Umlage aufzuerlegen.
Wozu also Offshore-Anlagen? Doch nicht, weil es in der Nordsee keine Vögel gäbe, die von den Anlagen erschlagen werden könnten? Ist dies nicht auch ein St.-Florians-Prinzip, das uns auf höchster Ebene vorgelebt wird?
Meine Damen und Herren, ich bin der festen Überzeugung, dass sowohl das große als auch das kleine St.-Florians-Prinzip ihre wesentliche Ursache im Erscheinungsbild der Windenergieanlagen haben. Die Ästhetik ist nach meiner festen Überzeugung der Faktor, an dem sich in puncto Windenergie die Geister scheiden.
Was ist Ästhetik, welche Rolle spielt sie in unserem Leben?
Fast alle Philosophen haben sich am Thema „Ästhetik“ versucht, sind zu sehr unterschiedlichen Auffassungen gekommen. Kein Geringerer als Plato, der alte Grieche war der erste, von dem eine präzise Auffassung über Ästhetik überliefert ist. Sein Plädoyer: Das Schöne ist Ausdruck der „Idee“, die in den Dingen steckt. Also Ausdruck des Göttlichen, Übersinnlichen, Vollkommenen, das wir nur erahnen und in der Ästhetik erfahren, ohne es rational nachvollziehen zu können. Ist Ihnen nicht vielleicht auch einmal beim Hören eines Musikstückes oder beim Betrachten eines Kunstwerkes unversehens ein Schauer über den Rücken gefahren oder sind Ihnen die Tränen in die Augen geschossen, ohne dass Sie wussten, wie Ihnen geschah?
Und, natürlich in der Neuzeit, angefangen mit David Hume und stark akzentuiert von Kant, stand Platos „Idee“ die ganz rationale und auf den ersten Blick einleuchtende Auffassung gegenüber, dass „Schönheit“ ein rein menschliches Urteil darstellt, es also ohne Anwesenheit des Menschen auch keine Schönheit geben kann.
Beide Haltungen – also, dass Schönheit das „Göttliche, Ideale, Vollkommene“ zum Ausdruck bringt, oder aber „nur“ ein rein menschliches Werturteil darstellt, standen eine Weile geradezu unversöhnlich gegenüber. Eine Parallele zum Streit der Christen und der Atheisten ist nicht ganz zufällig. Aber damit will ich es mit der Philosophie einstweilen bewenden lassen und wende mich weiter der Gesetzmäßigkeit von Ästhetik zu.
Ich gehe also der Frage nach, wie die Empfindung von Schön, oder Nichtschön, Hässlich oder wie immer man es ausdrücken mag, zustande kommt.
Am Anfang stehen die Sinne:
- Das Sehen (z.B. von Landschaft, von Gemälden, von Industrieanlagen oder auch Windrädern),
- Das Hören (z.B. eines Symphoniekonzerts, der Meeresbrandung, des Straßenlärms oder des rhythmischen Rauschens der Dreiflügler),
- Das Riechen (z.B. der Rosen, des Heus, der Gülledüngung, des Rauches, der Biogasanlage),
- Das Fühlen (z.B. des Windes, des Regens, des Untergrundes),
- Das Schmecken (z.B. des Apfels, des Schwefels in der Luft, des Salzes am Meer…)
Ja, und das waren sie schon die fünf Sinne. Und was ist mit dem siebten Sinn? Dem Sechsten? Erschöpft sich Wahrnehmung denn wirklich in diesen Gesetzmäßigkeiten? Was ist mit dem Übersinnlichen? Den Pendlern, den Wünschelrutengängern?
Wer geneigt ist, dies alles als Spinnerei abzutun, halte sich in aller Bescheidenheit vor Augen, dass die Erde einst als Scheibe gesehen wurde, dass Galilei seine Erkenntnis, die Erde drehe sich um die Sonne, auf Druck der Inquisition widerrufen musste, dass der Schneider von Ulm in die Donau stürzte und heute der Flug nach Melbourne genauso eine Selbstverständlichkeit darstellt wie die Satellitennavigation.
Wo aber ist geschrieben, dass wir am Ende dieser Entwicklung stehen?
Aber auch hier möchte ich nur einen Weg für das Nachdenken aufzeigen, ohne ihn weiter betreten zu wollen. Wir kommen also zurück in überschaubare Gefilde, bleiben bei unseren fünf Sinnen.
Was passiert denn, wenn wir einen Apfelbaum sehen und seinen Wuchs bewundern, die Zeichnung einer seiner Früchte, den Wechsel von Rot und Gelb, die wächserne, glatte Struktur seiner Schale, seinen Duft und den wunderbaren Geschmack, wenn wir zu guter Letzt in ihn beißen?
Wir nehmen das alles wahr – und wir werten. Also ohne uns kein Werturteil, das ist sicher richtig. Aber ohne uns kein Apfel, keine Vollkommenheit? Falsch. Der Apfelbaum und seine Früchte sind kein Produkt unseres Wirkens, keine menschliche Konstruktion, sondern Natur. Schöpfung. Der Apfel hat, genau genommen, uns nicht nötig. Ist natürlich von Menschen gezüchtet worden, geschnitten, kultiviert. Aber Äpfel würde es sicher auch ohne die Menschen geben, irgendwo, wo die Lebensbedingungen entsprechend sind.
Ist schon göttlich, so ein Apfel. Irgendwo hat doch auch Plato recht, oder?
Steve Jobs ist im letzten Jahr gestorben, einer, der wie kaum ein anderer die Menschheit mit Vollkommenheit und Ästhetik bereichert hat. Beides hat er untrennbar miteinander verknüpft: geradezu genial anmutende Innovation – und eine Form, der man die Vollkommenheit von weitem schon ansah. Diese Kombination war sein Erfolgsrezept, wie die Geschichte des I-Phones zeigt.
Und, wenn Sie genau hinschauen: nicht nur seine. Gerade die EDV-Branche, scheinbar spröde und rational – gibt unermüdlich Beispiele für die Macht der Ästhetik. Auch hier hat Apple angefangen, Microsoft hat nachgezogen und sich ständig übertroffen mit neu gestalteten Oberflächen, gepaart mit Klängen. Tochscreens werden nach dem Gefühl beurteilt, welches sie vermitteln, und die nicht enden wollende Zahl der Programme oder Apps sticht sich gegenseitig in Punkto Gestaltung aus. Funktion ist auch wichtig, erscheint aber manchmal fast untergeordnet. Würden Sie ein Auto kaufen, das wunderbar fährt, aber pink lackiert mit giftgrünen Kotflügeln? Sie nähmen es, nehme ich an, nicht mal geschenkt, allenfalls, wenn es die sofortige Umlackierung wert wäre. Was wären die Musik- oder die Filmindustrie, wenn Ästhetik für uns keine elementare Bedeutung besäße? Worüber wird Werbung für neue Produkte transportiert, wenn nicht über das weite Feld der Ästhetik?
Jetzt aber weg von menschlichen Konstrukten, raus in die Natur. Zurück zu den Wurzeln. Wo eigentlich liegen unsere Wurzeln? Wie schaffen wir, unter Millionen von Zeitgenossen, unsere individuelle Identität, unsere Unverwechselbarkeit zu finden?
Entscheidend ist die Herkunft. Mein Umfeld, in das ich geboren bin, prägt mich und gibt mir Halt. Es ist so etwas wie mein Koordinatensytem und setzt sich zusammen, vereinfacht gesagt, aus der geographischen Umwelt, also dem Ausschnitt der Erdoberfläche, in den ich gesetzt wurde, und aus meiner sozialen Umwelt, also den Menschen, die mich umgeben und mit denen ich in Beziehung stehe. Stirbt jemand aus diesem Umfeld, trage ich Trauer, obwohl ich weiß, dass Sterben ein natürlicher Vorgang ist. Und ändert sich mein vertrautes geographisches Umfeld, das ich vielleicht „Heimat“ nenne, dann trauere ich auch.
Die Errichtung eines Windparks kann durchaus eine solche Veränderung bewirken. Sie vollzieht sich binnen weniger Wochen und kann, unter Umständen, die Aussage einer Landschaft gravierend verändern, wenn zum Beispiel eine unberührt erscheindende Kulturlandschaft plötzlich einen industriellen Charakter erhält.
Aber auch ohne Windpark erfolgt eine solche Änderung zwangsläufig, aber meist weniger schnell, da sich alle Dinge stets im Fluss befinden. Also ist Trauer um Vergangenes oder, umgekehrt angeschaut, vielleicht auch präziser ausgedrückt, die Arbeit der ständigen Neuorientierung, der ständigen Anpassung an veränderte Lebensumstände, eine ganz natürliche Sache.
Ich denke, es ist jetzt deutlich geworden, warum Windenergie so viel mehr polarisiert als Bioenergie oder Freiland-Photovoltaik. Es ist die Ästhetik, die uns unterschwellig steuert, unsere subjektiven Werturteile bestimmt. Da Ästhetik subjektiv ist, wird ihre alltägliche Bedeutung in unserer materialistisch orientierten Gesellschaft verdrängt und durch Stellvertreter-Argumente ersetzt. Der Infraschall beispielsweise, der regelmäßig gegen Windenergieanlagen vorgebracht wird, existiert zwar, wirkt aber erst bei extremen Schalldrücken von mehr als 150 dB schädlich. Die Auswirkungen der hochfrequenten Schwingungen, die jeder Handybesitzer beim Telefonieren erzeugt, haben nachweislich gravierendere gesundheitliche Auswirkungen – was aber kaum jemanden davon abgehalten hat, sich ein schickes I-Phone zuzulegen.
Ein weiterer, meines Erachtens sehr unterschätzer Faktor ist die Symbolkraft von Windenergieanlagen. Aufragende Bauten besitzen eine erheblich höhere Symbolkraft als andere Objekte, was nicht nur am Turmbau zu Babel deutlich wurde, sondern auch am 11. September 2001. Vermutlich ist es vor allem diese Symbolkraft, welche die polarisierende Wirkung der Windenergieanlagen auslöst und sie von den Biogas- und PV-anlagen grundlegend unterscheidet. Windenergie als Symbol der Ökologiebewegung, aber auch als Symbol von Fremdbestimmung einer lokalen Bevölkerung durch ortsfremde Investoren, als Symbol des Landschaftswandels und des Wandels der Zeiten. War früher alles besser oder zieht sich dieser Seufzer der älteren Generationen nicht durch die Menschheit zu allen Zeiten?
Man kann auch umgekehrt fragen: wird alles immer besser, weil die Menschheit lernfähig ist? Hier könnte man die Frage stellen, ob die Debatten um Atomenergie oder Windenergie nennenswerte Auswirkungen auf den Stromverbrauch gezeigt haben.
Die Statistik zeigt: nein. Zumindest die Gesamtstatistik. Untersucht man den privaten Verbrauch, erkennt man 2011 eine leichte Tendenz zum Stromsparen, die sicherlich in Zukunft allein aus wirtschaftlichen Gründen noch zunehmen wird. Hier ist ein Wandel durchaus zu erkennen.
Noch deutlicher erkennbar ist ein Wandel in Richtung Unabhängigkeit von den Monopolisten der Elektrizitätswirtschaft. Bereits vor zwei Jahren wurde die Biogasanlage Krebeck-Wollbrandshausen im Eichsfeld in Betrieb genommen, die mein Büro ebenfalls betreut hat. Dieses Vorhaben mit einer Investitionssumme von immerhin 20 Millionen Euro schaffte aus dem Stand Anschlussquoten von 65 % der Haushalte an das neu entstandene Fernwärmenetz. Ausschlaggebend war der Faktor der genossenschaftlichen Eigenversorgung. Dieses Beispiel zeigt, dass das Argument der lokalen Energieautonomie durchaus Bürger motivieren kann. So mancher Politiker wäre froh, wenn er in seinem Wahlkreis eine ähnliche Wahlbeteiligung hätte...
In der gleichen Eichsfeldgemeinde aber hat die Windenergie einen schweren Stand: hier wurden vor vier Wochen die bereits zitierten 2.259 Einsprüche gegen die Vorranggebiete für Windenergie eingelegt, die ich derzeit zu bearbeiten habe. Dies erscheint zunächst wie ein Widerspruch, ist aber keiner: im Vorfeld des Flächennutzungsplanes waren Investoren, allen voran Vattenfall, durch die Gemeinde gezogen, um Grundstückseigentümer zum Verkauf oder zur Verpachtung ihrer Grundstücke für die Errichtung von Windkraftanlagen zu gewinnen.
Lokale Autonomie oder globale Gewinnmaximierung. Wofür werden Windenergieanlagen künftig Symbole sein?
Bleiben wir noch etwas bei der Energieautonomie. Sie hat nach meiner Einschätzung zwei sehr unterschiedliche Motivkomponenten:
- Erstens: die Unabhängigkeit von überregional agierenden Konzernen, deren Entscheidungen auf regionaler Ebene nicht steuerbar sind und die sich daher dem Grundprinzip des demokratischen Pluralismus entziehen.
- Zweitens: die Erkenntnis, dass es moralisch nicht gerechtfertigt werden kann, die Auswirkungen des eigenen Energiekonsums anderen aufzubürden.
Die Bildung hat unseren Horizont erweitert. Ökologische Vernetzungen sind deutlich geworden, häufig erst durch die unerwünschten Nebenwirkungen. Die Kommunikation hat den Globus überschaubar werden lassen. Was im März letzten Jahres in Japan passiert ist, kam sofort bei uns über den Bildschirm. Auch die Auswirkungen der Energiegewinnung im Golf von Mexiko oder in Nigeria sind uns nicht unbekannt geblieben. Auch dort wohnen Menschen, deren Lebenswelt, deren Heimat durch diese Form der Zivilisation gravierend verändert wurde, und zwar in einer Größenordnung, die wir uns ruhig häufiger vor Augen halten sollten, wenn wir uns über Windkraftanlagen aufregen.
Wenn als dritte Komponente eine nationale hinzukommt – beispielsweise, dass Deutschland hinsichtlich der Entwicklung der Windenergietechnologie eine Spitzenposition im internationalen Wettbewerb einnimmt – sind eigentlich gute Voraussetzungen gegeben, die Windenergie im Zusammenspiel mit den übrigen Formen regenerativer Energiegewinnung konsensfähig zu gestalten.
Ich denke, es wird sich in Kürze entscheiden, wofür Windenergieanlagen – und sicher auch die flächenmäßig stark zunehmenden Photovoltaikanlagen – künftig Symbole sein werden. Regionale Energieautonomie zum Wohle vieler oder anonyme Gewinnmaximierung einiger Finanzeliten. Diese Symbolkraft der Dreiflügler wie auch der schrägen dunkelblauen Flächen wird einen erheblichen Einfluss auf die weitere Entwicklung der Energiewende haben.
Die EEG-Umlage wird mittlerweile im Geldbeutel jedes Einzelnen spürbar. Wenn sich der Eindruck verdichtet, dass Investition in Anlagen zur Stromerzeugung aus regenerativen Quellen die Konzentration privaten Vermögens weiter fördert – auch hierüber wurde erst kürzlich berichtet - befürchte ich, dass jeder Ansatz einer Akzeptanz für erneuerbare Energien vollends zunichte gemacht wird.
Wenn die so genannte Energiewende mehrheitlich von den Bürgern mitgetragen werden soll, reicht nicht, eine Kehrtwende zu fahren und dann das Boot den Kräften von Wind und Strömung zu überlassen. Bundespräsident und Bundeswirtschaftsminister haben Mitte dieses Jahres für die Energiewende eine Abkehr von der Planwirtschaft und die Rückkehr zur sozialen Marktwirtschaft gefordert, was ich überhaupt nicht verstanden habe: aus meiner Sicht hatte die Regierungspolitik eher den Anschein eines etwas hilflosen Versuches, die Geister zu bändigen, die durch eine offensichtlich planlose Subventionspolitik ins Leben gerufen worden sind.
Was wir brauchen, ist ein Instrument, welches einen vernünftigen Mix der unterschiedlichen regenerativen Stromerzeugungsformen auf der Basis der regionalen Potenziale einerseits und des regionalen Verbrauchs andererseits flächenbezogen steuert. Dies ist nichts anderes als konsequente räumliche Planung, wie wir sie, beispielsweise in Bundes- und Landesraumordnungsprogrammen, Regionalplänen und Bauleitplänen, seit langem in unserer Gesetzgebung verankert haben.
Nur eine solche, nachvollziehbar vernünftige Planung ist konsensfähig, und wahrscheinlich ist sie eher auf kommunaler und regionaler Ebene aufgestellt und umgesetzt als auf der Ebene des lobbyverseuchten Berliner Pflasters.
Was können wir als Gestalter zu einer solchen Planung beitragen?
In den vergangenen zwanzig Jahren haben wir im Wesentlichen defensiv agiert, wenn es um die Implementierung von Windenergieanlagen in die Landschaft ging. Das hat durchaus eine positive Komponente: Konflikte durch Windenergieanlagen müssen nach Möglichkeit vermieden werden. Ein ästhetischer Konflikt entsteht beispielsweise, wenn ein historisches Bauwerk wie die Veste Coburg durch industrielle Baukörper – und dazu gehören Windenergieanlagen zweifellos – dominiert und damit seiner ästhetischen Bedeutung beraubt wird. So etwas ist im Zuge einer qualifizierten planerischen Abwägung ebenso auszuschließen wie die Beeinträchtigung der Nachtruhe durch Schallimmissionen.
Die defensive Fragestellung „wo stören Windenergieanlagen nicht“ hat aber in der Praxis dazu geführt, dass Windenergiestandorte aufgrund willkürlich gewählter Abstandsregelungen auf sogenannte „Weißflächen“ reduziert wurden. Diese Abstände variieren im Vergleich der Bundesländer und auch im Verlauf der Jahre, was ihren willkürlichen Charakter unterstreicht. Nahezu komplett ausgespart wurden bei dieser Strategie die Waldgebiete: so sind bis zum heutigen Tag nur sehr wenig Anlagen in Wäldern errichtet worden, obwohl die Ergebnisse einer im vergangenen Jahr ausgerichteten Fachtagung zum Thema Windenergie und Wald ein geringeres Konfliktpotenzial erkennen lassen als in manchen Offenlandstandorten und die Größe heutiger Anlagen durchaus eine konfliktarme Errichtung in Waldgebieten erlaubt. Gerade Waldgebiete, die sich auf den Höhenlagen der Mittelgebirge befinden, weisen ein hohes Windpotenzial auf und können allein aus diesem Grund nicht a priori ausgeklammert werden.
Bei einer ernsthaft betriebenen räumlichen Planung der Verteilung regenerativer Energieanlagen mit dem Ziel einer regionalen Energieautonomie sollte zunächst die Eignung spezifischer Standorte für die Energieformen Wind und Sonne im Vordergrund stehen und ein hohes Gewicht erhalten: (Biogas und Wasserkraft vernachlässige ich hier, da ich mich auf die Frage nach der Gestaltung konzentrieren will und die gestalterischen Möglichkeiten bei diesen Energieformen sehr eingeschränkt sind):
- Photovoltaik ist eine gute Komponente dezentraler Elektrizitätserzeugung in dicht besiedelten Standorten mit zahlreichen Dachflächen. Schon 2007 hat Martina Klärle in einem Pilotprojekt der Universität Osnabrück eine Potenzialstudie erstellt, der zu entnehmen war, dass Photovoltaik auf den hierfür geeigneten Dächern der Stadt rund 70 % des gesamten Osnabrücker Strombedarfs decken könnte. Freiland-Photovoltaik, also Photovoltaik auf unbebauten Flächen, muss daher aus umweltpolitischer Sicht als Fehlentwicklung bezeichnet werden, weil sie einen vermeidbaren Flächenverbrauch bewirkt.
- Windenergie ist eine gute Komponente dezentraler Elektrizitätserzeugung, da Wind häufig dann weht, wenn keine Sonne scheint – und umgekehrt. Photovoltaik- und Windenergieanlagen ergänzen daher einander.
Aufgrund ihrer Auswirkungen erfordern Windenergieanlagen eine siedlungsfernere Anordnung und sind vor allem auf exponierten Standorten effizient.
Im Zuge der präzisen räumlichen Steuerung regenerativer Energieerzeugung wird daher offensiv der Frage nachzugehen sein, wie künftige Stadtbilder durch den Aspekt der Photovoltaik und künftige Landschaften durch den Aspekt der Windenergieanlagen gestaltet werden sollen.
Da die heutigen Windenergieanlagen eine Dimension erreichen, die ein Verstecken unmöglich macht, muss ihre gestalterische Wirkung, ihr ästhetischer Aspekt, bewusst eingesetzt werden. Friedrich Ernst v. Garnier, namhafter Farbdesigner, fordert schon lange „dass ein Unternehmen, das sich so nachdrücklich in die Heimatlandschaften anderer drängt, von sich aus das Produkt in anspruchsvollerer Anmutung zwischen Wald und Wiesen platzieren müsste“. Gleichwohl hat sich dieser Anspruch bei der Windenergie auf wenige Einzelprojekten und einige niemals realisierte Entwürfe beschränkt:
- Bei der Expo 2000 wurde ein Künstlerwettbewerb für die Gestaltung von Windenergieanlagen ausgelobt und einige Entwürfe in die Realität umgesetzt.
- Die Verbindung einer Windenergieanlage mit einer Aussichtsplattform ist bereits praktiziert worden – mit Erfolg.
- Eine italienische Designergruppe kreierte einen innovativen Viadukt in der Verbindung von Brücke und Windenergieanlagen.
- Einige Architekten haben Kombinationen hoher Gebäude und Windenergieanlagen entwickelt,
- Es gab auch einige Ansätze, die Masten von Windenergieanlagen durch Designer zu entwerfen. Das Design der heutigen Betonmasten erscheint mir hingegen eher aus dem Statikbüro zu kommen, hier sehe ich einen deutlichen Verbesserungsbedarf.
Und so sind Windenergieanlagen weiterhin rein technische Bauwerke, für die Gestaltung sich im Wesentlichen auf die Hochglanzbroschüren für potenzielle Investoren beschränkt.
Ich wünsche mir Leute wie Steve Jobs in der Branche der Windenergiehersteller. Designer und Architekten, die die technische Vollkommenheit dieser Anlagen auch in ihrem Erscheinungsbild zum Ausdruck bringen, Farbgestaltung und Beleuchtung inbegriffen. Menschen, die sich auch um die Landschaften kümmern und den Betroffenen die Möglichkeit nahe bringen, dass ihre Heimat durch Windenergieanlagen nicht ästhetisch abgewertet werden muss, sondern neue Akzente, neue Landmarken erhält.
Zum Abschluss meines Vortrages möchte ich Ihnen daher einige Beispiele vor Augen halten, die durchaus einen Vorbildcharakter für Windenergie entwickeln können:
Der Viaduc de Millau ist eine Brücke, deren Design von einer bemerkenswerten Einfachheit und Vollkommenheit ist. Ich habe noch niemanden gefunden – auch nicht im Internet – der dieses Bauwerk als hässlich bezeichnen würde.
Nur ganz nebenbei bemerkt: er wurde in eine Landschaft errichtet, die unter hiesigen ästhetischen Grundsätzen als einzigartig und von überragendem Schutzbedürfnis kategorisiert würde.
Entworfen wurde das Bauwerk von Michel Virlogeux, ästhetisch überarbeitet von keinem geringeren als Sir Norman Foster, dessen Berliner Kuppel nach wie vor eine derartige Anziehungskraft entwickelt, dass die Schlangen vor dem Reichstag wohl eine Institution bleiben werden. Vielleicht sollte man ihn einmal auffordern, einen Beitrag zur Gestaltung von Windkraftanlagen und Windparks zu leisten?
Ein weiteres Beispiel: der Stuttgarter Fernsehturm des Architekten Fritz Leonhardt aus dem Jahr 1956. Mitten im Wald errichtet, weithin sichtbar auf einer Anhöhe. Und von Anfang an ein Erfolg: die Baukosten waren bereits nach sechs Jahren durch die vielen Besucher amortisiert. Heute ist er das Wahrzeichen der Stadt und bereits 1989 wurde er als Kulturdenkmal anerkannt. Ein weiteres Beispiel dafür, wie sich die Berücksichtigung ästhetischer Grundzüge als gleichwertige Parameter zu den statischen Erfordernissen auswirken kann.
Lassen sich aus diesen beiden Beispielen nicht Visionen für eine positive Entwicklung der Windenergie ableiten? Sie zeigen doch, dass die Implementierung technischer Bauwerke in Kulturlandschaften keinen unversöhnlichen Gegensatz darstellen muss, sondern durchaus eine Bereicherung bedeuten kann.
Erneuerbare Energien und hier vor allem Windenergie und Photovoltaik sind eine Aufgabe, die nicht allein die Technokraten und Bürokraten betrifft und schon gar nicht allein die Finanzwelt. Der Kreis derer, die sich hier einbringen können, ist erheblich größer: Künstler, Architekten, Designer, Ingenieure, und nicht zuletzt die Öffentlichkeit können und sollten hier gestalterischen Einfluss nehmen. Wettbewerbe können ausgelobt, Ausstellungen durchgeführt, Landschaftsmodelle erstellt, Visionen öffentlich ausgetauscht und debattiert werden. Der Prozess der Energiewende kann um einiges phantasievoller und spannender gestaltet werden als durch die in immer kürzeren Abständen neu festgelegten Einspeisevergütungen und ihre komplizierten Rahmenbedingungen.
Eine gute Gestaltung kann eine wenig visionäre Energiepolitik nicht überzeugender machen. Der schmerzliche, weil eigene Anpassungarbeit erfordernde Prozess der Landschaftsveränderung durch Windenergieanlagen kann nur auf Akzeptanz stoßen, wenn über regionale Energieautonomie ein funktionaler Bezug zu den Betroffenen hergestellt wird. Er kann erleichtert werden, wenn Windkraftanlagen nicht als technische Standardobjekte, sondern als individuell gestaltete Attraktionen in der Landschaft erscheinen.
Vielleicht führt diese Entwicklung ja dazu, dass wir eines Tages Windkraftanlagen auf den Höhen des Thüringer Waldes als notwendige Einrichtungen der Zivilisation wahrnehmen und froh sind, wenn der Wind bläst und sie sich lustig drehen. Auch dafür sind sie ein starkes Symbol: alles ist in Bewegung, und nichts wird bleiben, wie es war.