Möglichkeiten des Zusammenwirkens von Naturschutz und Landwirtschaft

bei der Erhaltung montanen Grünlands - Ergebnisse eines interdisziplinären Gutachtens im Oberharz

Possibilities of cooperation between Nature conservancy and Agriculture in the conservation of mountainous grassland - Results of an interdisciplinary study in the Harz Mountains, Lower Saxony

Christoph Schwahn und Uwe von Borstel

Zu diesem Aufsatz: Die Originalversion dieses Aufsatzes wurde in NATUR UND LANDSCHAFT (1997) Nr. 6, S. 267-274 veröffentlicht. Ich gebe ihn hier wieder, um Tabellen und Fotos gekürzt, um Speicherplatz zu sparen. Co-Autor Uwe von Borstel ist beim Refertat 33 der Landwirtschaftskammer Hannover beschäftigt. Der Auftrag veröffentlicht die wesentlichen Ergebnisse des interdisziplinären Gutachtens "Nutzung und Pflege der Bergwiesen in St. Andreasberg", erstellt im Auftrage der Bezirksregierung Braunschweig.
 

Problemfeld und Aufgabenstellung

Die Aufgabe der landwirtschaftlichen Nutzung stellt neben der Nutzungsintensivierung die größte Gefährdung montaner Wiesen dar. Folgenutzungen von Hobbytierhaltung bis hin zu Golfplätzen zerstören die typische Ausprägung der Vegetation. Selbst wenn dies durch Natur- oder Landschaftsschutz verhindert werden kann, ist eine Sukzession zum Wald nur durch kostenintensive Pflege abzuwenden, deren langfristige Durchführung so ungewiß ist wie die öffentlichen Haushalte, aus denen sie finanziert wird.Das Vorhandensein landwirtschaftlicher Betriebe mit extensiven Nutzungsformen ist daher gerade für den Natur- und Landschaftsschutz von besonderer Bedeutung. Zu ihrer dauerhaften Erhaltung müssen die Anforderungen des Naturschutzes mit den landwirtschaftlichen Erfordernissen unter den bestehenden Rahmenbedingungen grundsätzlich in Einklang gebracht werden, was ein konstruktives Miteinander von Naturschutz und Landwirtschaft erfordert.

Diese Erkenntnis hat die Bezirksregierung Braunschweig als obere Naturschutzbehörde veranlaßt, für das Naturschutzgebiet "Bergwiesen bei St. Andreasberg" anstelle eines herkömmlichen Pflege- und Entwicklungsplanes ein interdisziplinäres Gutachten erarbeiten zu lassen, welche in Zusammenarbeit der Landwirtschaftskammer Hannover mit einem Göttinger Büro für Landschaftsplanung entstand.

Gemeinsame Aufgabe war eine genaue Untersuchung des letzten in der Gemeinde verbliebenen Haupterwerbsbetriebes sowie der von ihm bewirtschafteten und gepflegten Bergwiesen, um Möglichkeiten aufzuzeigen, auf welche Weise die Landwirtschaft Entwicklungsziele des Naturschutzes verwirklichen und unterstützen kann. Aus Naturschutzsicht waren vor allem folgende Fragestellungen zu klären: Unter welchen Bedingungen ist eine Erhaltung oder Entwicklung der Bergwiesen in ihrer typischen Ausprägung durch landwirtschaftliche Nutzung möglich? Welches ist die "klassische" Nutzung bestimmter Grünlandgesellschaften, unter der sie stabil bleiben?

Aus landwirtschaftlicher Sicht lauteten die wesentlichen Fragen: Unter welchen Bedingungen kann ein landwirtschaftlicher Betrieb unter Beachtung der besonderen Anforderungen des Naturschutzes eine dauerhafte Existenzgrundlage erhalten? Wie sind die Erträge und Futterqualitäten der unterschiedlichen Pflanzengesellschaften einzuschätzen?

Interessant für beide Fachdisziplinen war die Frage, ob es möglich ist, ein gemeinsames Leitbild der Landschaftsentwicklung zu entwerfen und ob eine solche Zielvorstellung vor dem Hintergrund sich wandelnder Rahmenbedingungen von Bestand sein kann.
 

Zur Situation in St. Andreasberg

Die Landschaft des Oberharzes läßt sich als Dreiklang von ausgedehnten Waldgebieten, Bergwiesen und Siedlungen beschreiben. Sie verdankt diese Ausprägung in einem Gebiet, welches über Jahrhunderte vom Bergbau bestimmt wurde, ausschließlich dem Menschen. In früheren Zeiten war die Grünlandnutzung für die Selbstversorgung der Bergarbeiter lebenswichtig. Jede Familie besaß wenigstens eine Ziege oder eine Kuh, die zur Weide in den Wald getrieben wurde. Die Grünländereien dienten ausschließlich der Heugewinnung, um die lange Zeit des Winters zu überstehen. Landwirtschaft im Haupterwerb gab es nicht. Nach dem Niedergang des Bergbaus lebt der Harz vor allem vom Fremdenverkehr. Heute ist St. Andreasberg ein beliebter Erholungsort und Wintersportzentrum sowie Sitz der Nationalparkverwaltung Oberharz. Unmittelbare wirtschaftliche Bedeutung haben die Grünlandflächen jedoch nur noch für einen landwirtschaftlichen Betrieb, der nach dem Krieg in St. An-dreasberg angesiedelt wurde.

Die Bergwiesen und -weiden um St. Andreasberg befinden sich in Höhenlagen zwischen 500 und 700 m über NN. Infolge ihrer sehr unterschiedlichen Nutzungseignung weisen sie eine mosaikartig verteilte Vielfalt unterschiedlicher Pflanzengesellschaften auf. Den größten Teil des untersuchten Grünlandes nehmen Goldhaferwiesen ein. Die Umtriebsweiden des Betriebes sind überwiegend als montane Horstrotschwingelweiden ausgeprägt. Eingestreut liegen Kreuzblumen-Borstgrasrasen und Feuchtwiesen mit unterschiedlichen Pflanzenge-sellschaften sowie Brachen unterschiedlicher Ausprägung.
Für den Naturschutz sind die Grünlandbereiche des Oberharzes unter folgenden Gesichtspunkten bedeutsam:

Seltenheitswert: In Deutschland befinden sich die meisten Grünländereien in den Niederungen. Montane Grünlandstandorte sind von Natur aus bei uns Raritäten, deren Verschwinden nicht anderswo kompensiert werden kann.
Kulturhistorischer Wert: In montanen Regionen sind der Nutzungsintensivierung Grenzen gesetzt. Bergwiesen und -weiden sind daher Relikte einer vergangenen Kulturlandschaft, die sich bis in die heutige Zeit erhalten haben.

Landschaftsästhetischer Wert: In den bei uns meist bewaldeten Mittelgebirgslandschaf-ten, in denen Ackerbau aufgrund der Hängigkeit und der klimatischen Bedingungen auf den meisten Standorten nicht möglich ist, stellen die Bergwiesen und -weiden die einzigen Offenlandschaften dar. Sie ermöglichen Weitblicke und kennzeichnen die Landschaft vor allem zur Blütezeit mit ihren einzigartigen Farbteppichen. Es wird hier nicht nur Strukturvielfalt erlebbar, sondern die Vielfalt läßt sich auch bis in die kleinste Ebene durch die unterschiedlichen Arten erleben.

Artenschutzwert: Montane Grünlandgesellschaften weisen floristisch eine erheblich höhere Artenvielfalt auf als die weitverbreiteten Grünlandgesellschaften des Tieflandes. Aufgrund der Seltenheit montanen Grünlandes ist ein großer Teil der hier vorgefundenen Arten in den Roten Listen vertreten. Auch in faunistischer Hinsicht ist die Artenvielfalt hoch.

Die Ausweisung eines erheblichen Teils seiner Wirtschaftsfläche als Naturschutzgebiet "Bergwiesen bei St. Andreasberg" wie auch die Lage im Landschaftsschutzgebiet bedeuten für den landwirtschaftlichen Haupterwerbsbetrieb Bewirtschaftungsauflagen und verhindern die Einrichtung potentielle Betriebszweige wie Camping auf dem Bauernhof. Statt darüber zu lamentieren oder einen Konflikt zu provozieren, entschloß sich der Betriebsinhaber zur Zusammenarbeit mit den Naturschutzbehörden und erschloß sich die Pflege brachgefallener Bergwiesen als weiteren Einkommenszweig. Der Betrieb ist auf diese Weise zum Landschaftspflegehof geworden, ohne daß dies bei der Planung des Naturschutzgebietes beabsichtigt gewesen wäre.
 

Rahmenbedingungen der Landwirtschaft im Harz

Die natürlichen und wirtschaftlichen Standortverhältnisse für die Landbewirtschaftung im Mittelgebirge werden mit zunehmender Höhenlage schwieriger. Schon ab der submontanen Stufe, im Harz bereits ab 400 bis 500 m Höhenlage, sind landwirtschaftliche Nutzflächen absolute Grünlandstandorte, die keine Ackernutzung zulassen. Dieses bedeutet unter den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Europäischen Union einen Nachteil, da diese Ackernutzung in Form von flächengebundenen Transferzahlungen begünstigt.

Im Vergleich zu den Gunstlagen der Niederungsgebiete Norddeutschlands weist das Grünland im Oberharz gravierende natürliche und wirtschaftliche Nachteile auf:
 

  • Die Vegetationszeit ist um sechs Wochen kürzer und die teure Winterfütterungsperiode ist entsprechend länger;
  • Die höhere Niederschlagshäufigkeit behindert die Futterwerbung;
  • Die schwierigen Geländeverhältnisse verursachen erhöhte Kosten der Grünlandbewirtschaftung;
  • Der Absatz landwirtschaftlicher Erzeugnisse und der Bezug von Produktionsmitteln und Dienstleistungen sind wegen ungünstigerer Verkehrslage kostenaufwendiger und
  • das Ertragsniveau der produktivsten Grünlandbestände erreicht im Oberharz bestenfalls 50 bis 60 % der Leistung guter Grünlandstandorte der Niederungsgebiete.

Die geringere Ertragsleistung des Grünlandes im Mittelgebirge in Kombination mit erhöhten Produktionskosten der Futtererzeugung und -verwertung verursacht überdurchschnittlich hohe Gesamtkosten der Grünlandbewirtschaftung. Die typische Variante der montanen Rispengras-Goldhaferwiese als die produkivste Pflanzengesellschaft in St. Andreasberg erfordert pro 10 MJ NEL einen Aufwand von 0,45 DM, beim Kreuzblumen-Borstgrasrasen liegt er bei 1,97 DM. Zum Vergleich sei erwähnt, daß die Kosten für Zukauffutter in Form von Kraftfutter derzeit etwa 0,48 DM/10 MJ NEL betragen und die für Heu etwa 0,47 DM/10 MJ NEL, das heißt, sie liegen etwa so hoch wie die billigsten Erzeugungskosten des Futters der produktivsten Grünland-Pflanzengesellschaften im Oberharz. Futterbaubetriebe in standörtlich bevorzugten Lagen produzieren auf dem Ackerland in Form des Maisanbaues derzeit doppelt bis dreifach so hohe Erträge mit wesentlich niedrigeren Stückkosten. Unter diesen Umständen finden sich immer weniger Landwirte auf Mittelgebirgsstandorten bereit, Futterproduktion zu betreiben.

Die insgesamt ungünstigen Rahmenbedingungen haben dazu geführt, daß in St. Andreasberg die vormals vorherrschende Nebenerwerbslandwirtschaft sich völlig aus der Landbewirtschaftung zurückgezogen hat und derzeit in der Gemeinde St. Andreasberg nur noch ein Vollerwerbslandwirt tätig ist. Etwa 35 % des Grünlandes werden in der Gemeinde nicht mehr landwirtschaftlich genutzt. Davon unterliegen 70 ha der Pflege im Auftrag der Naturschutzverwaltung und 49 ha der Sukzession.
 

Nährstoffversorgung als Schlüssel zur Erhaltung montaner Grünlandgesellschaften

Die Feststellung, daß die Nährstoffversorgung einen entscheidenden Parameter für die spezifische Ausprägung von Grünlandgesellschaften darstellt, ist nicht nur in der Vegetationskunde unumstritten, sondern auch historisch nachvollziehbar. Ein Schwerpunkt der Untersuchung lag daher in einer Analyse der Nährstoffverhältnisse auf den unterschiedlichen Standorten. Aufgrund von Bodenuntersuchungen, Betriebsaufzeichnungen und Aufwuchsanalysen wurde eine "klassische" Bewirtschaftung der montanen Grünlandgesellschaften im Oberharz definiert. Hierunter verstehen wir die Form der Bewirtschaftung, welche zur spezifischen Ausprägung der Grünlandgesellschaften geführt hat und die infolgedessen für ihren dauerhaften Erhalt notwendig ist. Grundsätzlich gilt sowohl aus landwirtschaftlicher als auch aus naturschutzfachlicher Sicht, daß bedarfsgerecht zu düngen ist, um die Nährstoffentzüge auszugleichen.

Entscheidend für die anfallenden Nährstoffmengen ist die Viehbesatzstärke. Rechnet man mit 70 kg düngungswirksamem N/RGV/Jahr , so ergibt sich beispielsweise für St. Andreasberg unter den Bedingungen der "klassischen" Bewirtschaftung eine Viehbesatzstärke von maximal 1,1 RGV/ha für die Rispengras-Goldhaferwiese und von 0,3 RGV/ha für die Blutwurz-Goldhaferwiese. Das bedeutet, daß sich der offizielle Grenzwert für extensive Tierhaltung (1,4 RGV/ha)   hier nicht mit den Grundsätzen der ordnungsgemäßen Landwirtschaft vereinbaren läßt, weil er für den Standort bereits zu hoch ist. Da die Erträge in Hochlagen wesentlich geringer sind als in den Niederungsgebieten, ist auch die standortoptimale Düngung hier wesentlich geringer. Es ist daher angebracht, den für den langfristigen Erhalt und Schutz des Berggrünlandes tolerierbaren Viehbesatz standortspezifisch festzulegen. Eine mineralische Ergänzungsdüngung wird sich hierbei in der Regel erübrigen.

Für die Nährstoffversorgung sind die ausgebrachte Nährstoffmenge, die Wahl des Düngungszeitpunktes und die Applikationstechnik maßgeblich. Unter den Voraussetzungen einer standortgerechten Düngung im Rahmen der "klassischen" Bewirtschaftung ist die Form des Düngers weniger bedeutsam. Die Annahme der prinzipiellen Schädlichkeit der Gülledüngung für die Grünlandgesellschaften konnte durch die Ergebnisse des Gutachtens nicht bestätigt werden. Sinnvoll kann es dagegen sein, landwirtschaftliche Betriebe bei der Umstellung der Viehhaltung zu unterstützen, um die Erzeugung von Gülle von vornherein zu vermeiden. In Betrieben, welche Pflegearbeiten übernehmen, bietet sich die Erstellung eines modernen Tretmiststalles an, in dem das Mähgut von den Pflegeflächen als Einstreu verwendet wird und somit keine Gülle mehr anfallen kann. Der Vorteil liegt dabei auch in der Integration der "Pflegeabfälle" in den betrieblichen Nährstoffkreislauf.
 

Interdisziplinäre Optimierung: Eine sinnvolle Vorgehensweise

Landwirtschaft wie auch Naturschutz verfolgen unterschiedliche Ziele und haben infolgedessen unterschiedliche Vorstellungen von der Landschaftsentwicklung. Interdisziplinäre Zusammenarbeit ist daher auf die Lokalisierung von Gemeinsamkeiten und Konfliktfeldern auszurichten, damit eine gemeinsame Strategie entwickelt werden kann. Das Ergebnis ist kein Kompromiß - dieser wird auf dem Verhandlungswege gefunden -, sondern eine Optimierung im Sinne einer weitestmöglichen Berücksichtigung der Ziele beider Fachrichtungen.

Der erste Schritt auf dem Weg zur Gemeinsamkeit besteht in der Lokalisierung des Konfliktpotentials. Eine flächenbezogene, fachspezifische Bewertung des vorgefundenen Bestandes ist hierfür erforderlich. Durch eine Gegenüberstellung der fachspezifischen Bewertungen wird das Konfliktpotential erkennbar. Es ist in denjenigen Bereichen hoch, die sowohl aus landwirtschaftlicher Sicht als auch aus Sicht des Naturschutzes eine hohe Wertigkeit besitzen, und verringert sich in dem Maße, in dem die fachspezifische Wertschätzung einer oder beider Seiten sinkt.

Die naturschutzfachliche Bewertung des Grünlandes in St. Andreasberg orientierte sich an den in § 1 BNatSchG festgelegten allgemeinen Zielen des Naturschutzes. Zur Zielerfüllung wurden die Kriterien "Biotopvielfalt", "Vorkommen gefährdeter Pflanzenarten", "Artenvielfalt", "faunistische Bedeutung" sowie die landschaftsästhetischen Wertkategorien "Textur, Struktur und Blühaspekt" in einer fünfstufigen Skala erfaßt und zu drei Wertstufen verdichtet. Die Zuordnung erfolgte durch Einschätzung der Gutachter.

Analog erfolgte eine Bewertung aus landwirtschaftlicher Sicht, die auf das Ziel eines "Unternehmensgewinnes, der im Rahmen einer ordnungsgemäßen Grünlandbewirtschaftung nachhaltig eine gesicherte Existenz gewährleistet", ausgerichtet war. Kriterien waren "innere Verkehrslage", "Hangneigung", "Bewirtschaftungshindernisse", "Ertrag", "Energie- und Rohproteingehalt" und "Futterwertzahl".

Um die Bewertung möglichst genau auf den 345 ha großen Untersuchungsraum in St. Andreasberg zu beziehen, wurde dieser in 42 Einheiten untergliedert. Bei der Abgrenzung der Landschaftseinheiten wurden nicht nur geographische bzw. pflanzensoziologische Merkmale berücksichtigt, sondern vor allem auch die heutigen Bewirtschaftungseinheiten des landwirtschaftlichen Betriebes. Dies erfolgte in Hinblick auf das Ziel des Gutachtens, Aussagen zur zukünftigen Entwicklung und Bewirtschaftung möglichst detailliert auf Einzelflächen zu beziehen.

Das Ergebnis der Bewertung ist unter mehreren Gesichtspunkten bemerkenswert. Zum einen zeigte sich, daß in St. Andreasberg insgesamt nur ein geringes Konfliktfeld vorhanden ist. Zum anderen ergibt sich durch die Tatsache, daß die landwirtschaftlich bedeutsamen Flächen in engem räumlichen Zusammenhang liegen, eine Möglichkeit, Schwerpunkte für Naturschutz und Landwirtschaft gegebenenfalls räumlich zu trennen. Die Gegenüberstellung der fachspezifischen Leitbilder von Landwirtschaft und Naturschutz zeigte jedoch, daß eine derartige Trennung in St. Andreasberg nicht erforderlich ist.

Die Leitbilddefinition ist der zweite Schritt der interdisziplinären Optimierung. Für jede der 42 Landschaftseinheiten wurde zunächst die jeweils fachspezifische Zielvorstellung als "Leitbild" durch Beschreibung der angestrebten Vegetationsausprägung formuliert. Bei der anschließenden Lokalisierung der Unterschiede zwischen Landwirtschaft und Naturschutz wurde zwar deutlich, daß unterschiedliche Zielvorstellungen sich im wesentlichen auf diejenigen Landschaftseinheiten konzentrieren, für welche ein mäßiges oder hohes Konfliktpotential festgestellt wurde. Deutlich wurde jedoch weiterhin, daß sich in den Unterschieden der Zielvorstellungen keine unüberwindlichen Gegensätze auftun, sondern auch erhebliche Übereinstimmungen in den Entwicklungsvorstellungen zu finden sind. Es war daher möglich, durch geringe inhaltliche Veränderung der Leitbilder einen Konsens zu finden, welcher die Zielvorstellungen von Landwirtschaft und Naturschutz optimal miteinander verbindet.

Zielvorstellungen haben die Aufgabe, eine Richtung zu weisen. Der Weg, der zu ihrer Erreichung beschritten wird, besteht aus konkreten Bewirtschaftungs- und Pflegemaßnahmen. Da die Leitbilder in erster Linie die Beschreibung der angestrebten Vegetationsausprägung zum Gegenstand hatten, wurden in Anlehnung an die "klassische" Bewirtschaftung montaner Grünlandgesellschaften die Bewirtschaftungsrichtlinien zur Erreichung des gemeinsamen Leitbildes abgeleitet. Auf diese Weise wurde ein konsensfähiger Bewirtschaftungsplan erarbeitet, welcher landwirtschafltich genutzte und im Auftrag der Naturschutzverwaltung gepflegte Flächen gleichermaßen umfaßt.
 

Integrierter Bewirtschaftungsplan statt Pflege- und Entwicklungsplan

Die Untersuchung in St. Andreasberg zeigt die Möglichkeit auf, bereits vor der Ausweisung eines Naturschutzgebietes mit der Erstellung einer umfassenden Planung zu beginnen, um die Nutzungsvorgaben für die betroffenen Betriebe detaillierter und auf die standörtlichen Gegebenheiten bezogen formulieren zu können. In Zusammenarbeit von Landwirtschaft und Naturschutz sollte ein integrierter Bewirtschaftungsplan großräumig, z.B. für das Gebiet einer Gemeinde, erarbeitet werden, der sowohl landwirtschaftliche Nutzflächen wie auch Pflegeflächen enthält und nicht nur diese untersucht, sondern auch auf die speziellen wirtschaft-lichen Verhältnisse der betroffenen Betriebe eingeht. Seine Vorteile sind

  • Konsensfähigkeit,
  • Praxisbezogenheit,
  • gute Kontrollmöglichkeit, dadurch
  • hohe Wahrscheinlichkeit seiner tatsächlichen Realisierung,
  • flächenbezogene Definition der Schutzinhalte und Entwicklungsvorstellungen und
  • Schaffung von Perspektiven für die betroffenen Betriebe.

Ein integrierter Bewirtschaftungsplan sollte folgende Arbeitsschwerpunkte haben:

1. Bestandsaufnahme
Aus naturschutzfachlicher Sicht ist bei der Bestandsaufnahme stets eine Vegetationskartierung und ggf. eine Erfassung der faunistischen Besonderheiten mit Erfassung der jeweils gefährdeten Arten ("Rote-Liste-Arten") erforderlich. Zusätzlich muß für einen Bewirtschaftungsplan eine Untersuchung der betroffenen Betriebe erfolgen. Grundlage der Vegetationskartierung sollten daher Bestandsaufnahmen der Grünlandvegetation sein, die nach der Ertragsanteilsschätzung (KLAPP 1965) durchgeführt worden sind und nicht nach der Schätzung des Deckungsgrades nach BRAUN-BLANQUET. Die Ertragsanteilsschätzung ist für landwirtschaftliche Zwecke wesentlich aussagekräftiger und wird zugleich den standortökologischen Ansprüchen des Naturschutzes gerecht. Die Betriebsanalyse sollte auf Basis möglichst mehrjähriger Betriebsaufzeichnungen erfolgen.

2. Ziel- und Leitbilddefinition
Die Ziele der Landschaftsentwicklung sollten stets in einem flächenbezogenen Leitbild konkretisiert werden. Aufgrund der Erfahrungen des Projektes St. Andreasberg ist die Vorgehensweise sehr zu empfehlen, erst nach der Definition fachspezifischer Ziele und Leitbilder von Naturschutz und Landwirtschaft und der anschließenden Lokalisierung von Gemeinsamkeiten und Konfliktfeldern eine gemeinsame Zielvorstellung zu erarbeiten.

In Kenntnis der in der Bestandsaufnahme erhobenen Daten und der Zielvorstellungen lassen sich die Vorgaben der Verordnung für ein Naturschutzgebiet erheblich präziser und an die örtlichen Gegebenheiten angepaßter formulieren. Darüber hinaus erlaubt die Kartierung des Bestandes auch eine genauere Abgrenzung des Naturschutzgebietes. Die Erarbeitung von Gebietsabgrenzung und Verordnungstext sollte daher ebenfalls Gegenstand der Planung sein.

3. Integriertes Bewirtschaftungs- und Pflegekonzept
Auf der Basis der gemeinsamen Zielvorstellungen ist ein integriertes Bewirtschaftungs- und Pflegekonzept zu erarbeiten, welches die betroffenen Betriebe in die Pflege brachliegender Grünlandflächen einbezieht. Die Vorgaben der Bewirtschaftung und der Pflege sollten aus der "klassischen" Bewirtschaftung der angestrebten montanen Grünlandgesellschaften abgeleitet werden.

Die Tatsache, daß Düngung und Nutzung entscheidend die Bestandszusammensetzung des Grünlandes beeinflussen, führt zu der Forderung, daß landwirtschaftliche Betriebe in Naturschutzgebieten schlagspezifische Aufzeichnungen über ihre Bewirtschaftungs- und Pflege-maßnahmen anfertigen und bei Bedarf der Naturschutzbehörde offenlegen sollten. Die Aufzeichnungen sollten auf Schlagkarteien die applizierten organischen und mineralischen Düngermengen, den Zeitpunkt der Ausbringung und die sonstigen Bewirtschaftungs- bzw. Pflegemaßnahmen festhalten. Die Aufzeichnungen der Betriebe sind ein wichtiges Instrument der Planung und Kontrolle bei Maßnahmen der Erhaltung gefährdeter Grünlandgesellschaften.

Die Verknüpfung von nachvollziehbaren Bewirtschaftungsaufzeichnungen mit der Gewährung von Transferzahlungen erscheint sinnvoll und ist auch aus Gründen des effizienten Einsatzes öffentlicher Mittel zu rechtfertigen. Weiterhin ist in Gebieten von besonderer Relevanz für den Naturschutz ein besonderer Beratungsbedarf gegeben. In Naturschutzfragen ist eine Beratung durch die Naturschutzbehörde unerläßlich; für eine qualifizierte landwirtschaftliche Beratung stehen entsprechende Organisationen (Landwirtschaftskammer, Beratungsringe) zur Verfügung. Es wäre zu prüfen, ob die fachliche Beratung der Betriebe nicht in den NSG-Verordnungen verbindlich vorgeschrieben werden kann.
 

Szenarien zum Aufzeigen von Anpassungsmöglichkeiten

Die beschriebene Vorgehensweise hat im wesentlichen die landschaftliche Ausprägung im Blick, während die Auswirkungen auf den landwirtschaftlichen Betrieb zunächst im Hintergrund bleiben. Da dieser jedoch eine Schlüsselrolle bei der erfolgreichen Verwirklichung der Zielvorstellungen einnimmt, ist grundsätzlich von Interesse, wie ein funktionsfähiger Vollerwerbsbetrieb unter den Grenzstandortbedingungen des Mittelgebirges auf unterschiedliche Zielvorgaben wie auch auf mögliche Entwicklungen in der Naturschutz- und Agrarpolitik reagieren kann. Dieser Frage wurde im Projekt St. Andreasberg nachgegangen.

Zu diesem Zweck wurden der Ist-Situation 1993/94 neun Szenarien gegenübergestellt, deren Auswirkungen auf den Betrieb wie auch auf die Entwicklung des Grünlandes untersucht wurden. Vier der Szenarien umreißen Entwicklungen, welche zwar grundsätzlich vorstellbar, aus heutiger Sicht jedoch nicht realistisch sind:

  • Landwirtschaft ohne Naturschutzauflagen oder Transferzahlungen aus Naturschutzmitteln (Szenario 2);
  • Vorrang für Naturschutz im gesamten Untersuchungsgebiet (Szenario 3);
  • Grünlandbewirtschaftung ohne Tierhaltung (z. B. als Landschaftspflegehof, Szenario 4);
  • Wegfall aller Bewirtschaftungs- und Pflegemaßnahmen: Sukzession (Szenario 5).

Innerhalb dieses Rahmens extremer Entwicklungen wurden aus heutiger Sicht durchaus realistische Entwicklungen in Form der folgenden Szenarien aufgezeigt und untersucht:
 

  • Weiterführung des Betriebes wie bisher, aber um Bewirtschaftungsfehler bereinigt (Referenzszenario);
  • Grünlandbewirtschaftung mit verbesserter Milchviehhaltung (jeweils konventionelle bzw. ökologische Bewirtschaftungsprinzipien, Szenarien 6 A und 6B);
  • Grünlandbewirtschaftung mit Mutterkuhhaltung (jeweils konventionelle und ökologische Bewirtschaftungsprinzipien, Szenarien 7 A und 7 B).

Mit Ausnahme des Referenzszenarios, in dem die Erhaltung der Pflanzengesellschaften in ihrer derzeitigen Verteilung zugrundegelegt wird, und des Sukzessionsszenarios 5 orientieren sich alle Szenarien an den zuvor entworfenen Leitbildern. Das Landwirtschafts- und Naturschutzszenario berücksichtigen jeweils die fachspezifischen Leitbilder, die restlichen Szenarien das gemeinsame Leitbild Naturschutz und Landwirtschaft. Letzteres gilt auch für das Szenario 4 "ohne Tierhaltung" mit dem Unterschied, daß es auf die Beweidung der Horstrotschwingelweiden verzichtet und diese Pflanzengesellschaften als Goldhaferwiesen ausweist.

Zur Bewertung der Szenarien wurden umfangreiche Berechnungen angestellt, um die Aus-wirkungen möglichst genau zu bilanzieren. Als wichtigste Parameter der Bewertung werden Gewinn, Arbeitsaufwand, Erträge und Energiegehalte der Grünlandgesellschaften, Grundfutterbedarf, Dunganfall und Düngerverteilung ermittelt. Darüber hinaus wird eine Gesamtbilanz der Nährstoffe Stickstoff, Phosphor und Kalium in Form einer soganannten "Hoftorbilanz"  aufgestellt.

Die Ergebnisse der Berechnungen sind aus betriebswirtschaftlicher und ökologischer Sicht in verschiedenen Punkten überraschend:
Bei der Gegenüberstellung der Parameter zeigt sich der größte Unterschied zwischen der Ist-Situation 1993/94 und dem "Referenzszenario". Die Differenzen bestehen in einer nicht unerheblichen Gewinnsteigerung sowie in erheblich niedrigeren Nährstoffsalden im Referenzszenario. Die wesentlichen Ursachen dieses Unterschiedes liegen zum einen im Verzicht auf einen Mineraldüngerzukauf, welcher sich vor dem Hintergrund der "klassischen Bewirtschaftung" als überflüssig erwiesen hat, und in der Verringerung des Kraftfutterverbrauches. Die erheblich höheren Aufwendungen waren somit nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch von Nachteil. Diese Erkenntnisse führten zu der bereits angesprochenen Empfehlung, Betrieben in naturschutzrelevanten Gebieten eine fachliche Beratung vorzuschreiben.

Das um diese Fehler bereinigte Referenzszenario ähnelt in seinen Auswirkungen den Szenarien einer veränderten Betriebsführung (verbesserte Milchviehhaltung, Mutterkuhhaltung) in überraschender Weise. Dies zeigt, daß der Haupterwerbsbetrieb in St. Andreasberg eine bedeutende Flexibilität besitzt und sein Betriebssystem ohne wesentliche Auswirkungen auf die Grünlandgesellschaften umstellen könnte, wenn veränderte Rahmenbedingungen dies sinnvoll erscheinen lassen. Diese Feststellung ist von zentraler Bedeutung für die weitere Entwicklung in St. Andreasberg und wäre ohne die detaillierten Untersuchungen nicht möglich gewesen.

Überraschendes zeigen auch die Rahmenszenarien, in denen Extreme der Entwicklung un-tersucht wurden. Selbst das Szenario 2, "Vorrang für Landwirtschaft", welches ohne Naturschutzauflagen wirtschaftet, ist in seiner Nährstoffbilanz erheblich ausgeglichener als die Ist-Situation 1993/94. Allerdings zeigt dieses Szenario auch, daß sich die wirtschaftliche Existenz nur aus landwirtschaftlicher Tätigkeit unter den gegebenen Bedingungen nicht langfristig absichern läßt. Dies unterstreicht die Notwendigkeit der in St. Andreasberg prakti-zierten Zusammenarbeit mit dem Naturschutz als wichtige Quelle des Zuerwerbs; eine Aussage, die unter vergleichbaren Bedingungen in Mittelgebirgslandschaften Deutschlands durchaus übertragbar ist.

Das Szenario 3, "Vorrang für Naturschutz", weist einen deutlichen Nährstoffüberhang auf, der aus dem Gebiet exportiert werden muß. Verantwortlich hierfür sind restriktive Düngungsvorgaben aus naturschutzfachlicher Sicht, aufgrund derer sich nicht alle im Betrieb und bei der Pflege anfallenden Nährstoffe auf den Betriebsflächen unterbringen lassen. Auch diese Aussage mag überraschen, wenn man bislang unter naturschutzfachlichen Gesichtspunkten die Aushagerung weiter Bereiche angestrebt hat. Sie verdeutlicht, daß naturschutzfachliche Zielvorstellungen und -vorgaben auch die Auswirkungen über den eigentlichen Schutzbereich hinaus berücksichtigen sollten.

Im Szenario 6 A "Konventionelle Milchviehhaltung mit verbesserter Milchleistung" werden die Erfordernisse und Belange von Landwirtschaft und Naturschutz hervorragend berücksichtigt. Aufgrund der unveränderten Milcherzeugung bei erhöhter Einzeltierleistung verringert sich die Zahl der gehaltenen Milchkühe auf 38 Stück, so daß Viehbesatz wie auch Dung- und Nährstoffanfall aus der Tierhaltung geringer sind als in den Szenarien, in denen mehr Kühe gehalten werden. Dadurch entfallen im Szenario 6 A die Nährstoffüberschüsse, die sich weder auf der landwirtschaftlichen Nutzfläche des Betriebes noch auf den Pflegeflächen einsetzen lassen. Das Szenario 6 A ist zudem wirtschaftlich sehr interessant und weist von allen Szenarien die geringste Transferquote auf. Die Abhängigkeit von öffentlichen Subventionen und die damit verbundenen Risiken für den Betrieb sind also gering. Dieses Szenario zeigt eine hervorragende Entwicklungsmöglichkeit für den Betrieb auf.

Eine kaum weniger interessante Entwicklungsmöglichkeit bietet die "Ökologische Milchviehhaltung" (Szenario 6 B), welche ökonomisch zwischen dem Referenzszenario und dem Szenario 6 A angesiedelt ist. Aufgrund der im Vergleich zu Szenario 6 A geringeren Einzeltierleistung eignet sich diese Betriebsform etwas besser zur Bewirtschaftung für den Naturschutz bedeutsamer Grünlandbestände. Trotzdem sind auch hier die generell hohen Ansprüche der Milchkühe an das Grundfutter zu beachten. Bei entsprechender Betriebsleiterqualifikation ist dieses Szenario dem Referenzszenario vorzuziehen, weil hier der Gewinn höher ist und zudem durch die Anwendung des gemeinsamen Leitbildes eine Extensivierung der Grünlandbewirtschaftung stattfindet.

Das Szenario 4, "Grünlandbewirtschaftung ohne Viehhaltung", weist mit den höchsten Gewinnen pro Arbeitsstunde wieder eine Überraschung auf. Wenngleich es aus heutiger Sicht für den Betrieb in St. Andreasberg wenig realistisch ist, zeigt es doch, daß ein viehlos wirtschaftender Nebenerwerbsbetrieb oder ein reiner Landschaftspflegebetrieb hier grundsätzlich Existenzmöglichkeiten hat. Das "Kräuterheuprojekt" des BUND in Lüchow-Dannenberg (FILODA et al. 1996) verdeutlicht, daß eine Vermarktung von extensiv erzeugtem Rauhfutter durchaus Erfolgschancen besitzt. Erfolg oder Mißerfolg hängen allerdings besonders stark von der Persönlichkeit des Betriebsleiters mit seinen Vermarktungsfähigkeiten und zusätzlich von den Unwägbarkeiten des Rauhfuttermarktes ab. Aus der Sicht des Naturschutzes bedeutet dieses Szenario einen optimalen Bergwiesenschutz, aber auch einen Verlust an Strukturvielfalt durch den Verlust der Weidegesellschaften.

Auch die Mutterkuhhaltung (Szenarien 7 A und 7 B) ist eine Alternative für Nebenerwerbslandwirte. Allerdings ist hier die Verwertung der eingesetzten Arbeitskraft sehr gering und die Abhängigkeit von staatlichen Transferzahlungen, die etwa dreimal so hoch sind wie der Gewinn, extrem groß. Wegen der noch guten Verwertungsmöglichkeiten für alle Grünland-aufwüchse, die aus Naturschutzsicht späte Schnittermine erfordern, eignet sich dieses Szenario besonders gut für die Erhaltung und Pflege von Magerwiesen und -weiden, die zu ihrer optimalen Entwicklung und Erhaltung auf späte Nutzungstermine und, im Falle der Weiden, auf geringe Besatzdichten angewiesen sind.

Das Sukzessionsszenario 5 stellt den unbestritten schlimmsten Fall für Landwirtschaft und Naturschutz dar, da es das Ende montanen Grünlandes als einer historischen Kulturlandschaft wie auch der Landwirtschaft bedeutet, obwohl die Entwicklung der Vegetation zum Wald teilweise erhebliche Zeiträume in Anspruch nehmen kann.
 

Gemeinsamkeit tut not: Erkenntnisse zur Kooperation von Landwirtschaft und Naturschutz im Grünlandschutz

Am Beispiel St. Andreasberg wird deutlich, daß Haupterwerbsbetriebe im Mittelgebirgsraum für den Naturschutz, der hier Kulturlandschaftsschutz beinhaltet, geeignete Partner sein können. Ihre Maschinen und Gebäude, vor allem aber Qualifikation, Ortskenntnis und ständige Präsenz der Betriebsinhaber bieten die Voraussetzungen für eine gleichermaßen kostengünstige wie qualifizierte Pflege. Deutlich wird weiterhin, daß auch der Naturschutz entscheidend zum Überleben landwirtschaftlicher Betriebe in montanen Grenzertragsregionen beitragen kann. Aufgrund der standortbedingten Probleme werden Haupterwerbsbetriebe dort in steigendem Maße gezwungen sein, nach weiteren Einkommensmöglichkeiten zu suchen. Die Pflege der Kulturlandschaft kann für sie zu einem wichtigen Erwerbszweig werden. In dem Maße, in welchem den Landwirten die Bedeutung des Naturschutzes auch für die eigene Existenz bewußt wird, wird sich auch ihre Einstellung zu den Zielen von Naturschutz und Lanschaftspflege verändern. Dieses wird nicht ohne Auswirkungen auf die bewirtschafteten Flächen bleiben.

Es wäre verfehlt, die Zusammenarbeit von Landwirtschaft und Naturschutz allein den Bedingungen des konkreten Einzelfalles zu überlassen. Gerade in Niedersachsen, wo Grünland-förderung unter unterschiedlichen Aspekten duirch die Ministerien für Landwirtschaft und für Umwelt betrieben wird, hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, daß in allen Fragen der Kulturlandschaftspflege die Zusammenarbeit auf höchster administrativer Ebene beginnen muß. Grünlandschutz kann nur wirksam sein, wenn er nicht ressortspezifisch und parallel, sondern ressortübergreifend und gemeinsam betrieben wird. Eine Gemeinschaftsaufgabe "Kulturlandschaftsschutz" wäre geeignet, den Bogen zwischen den unterschiedlichen Fachverwaltungen zu spannen. Wichtig ist weiterhin, daß Grünlandförderprogramme der Unterschiedlichkeit wie auch der besonderen Wertigkeit des montanen Grünlandes gegenüber jenem der Tiefebene Rechnung tragen und daß bei der Gewährung von Transferzahlungen der Beitrag der landwirtschaftlichen Betriebe für den Schutz der biotischen Ressourcen berücksichtigt wird.

Die Tatsache, daß das Projekt in St. Andreasberg trotz seines erheblichen Erkenntnisgewinnes für die Landwirtschaft allein aus Mitteln des Naturschutzes finanziert wurde, unterstreicht die Empfehlung, auch gemeinsame Forschung zu betreiben. Die Ergebnisse sollten ebenso wie erfolgreich verlaufende Zusammenarbeit zwischen Naturschutz und Landwirtschaft der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, um starre Fronten aufzuweichen und auf die Gemeinsamkeiten hinzuweisen. Öffentlichkeitsarbeit tut not, um der Landwirtschaft das Image des Umweltzerstörers und dem Naturschutz jenes des Bremsers zu nehmen. Die Zeit der Restriktionen hat sich überlebt und sollte einer konstruktiven und kooperativen Einstellung weichen.
 

Zusammenfassung

Montanes Grünland im Mittelgebirge ist eine durch landwirtschaftliche Nutzung entstandene Kulturlandschaft, die sich durch Einzigartigkeit, Artenvielfalt mit hohem Anteil gefährdeter Arten sowie durch eine besondere Wirkung auf das Landschaftserleben auszeichnet. Ihre Erhaltung ist daher eine wichtige Aufgabe des Naturschutzes. Bei der Erfüllung dieser Aufgabe nimmt die Landwirtschaft eine Schlüsselrolle ein, denn landschaftliche Ausprägung ist das Resultat einer spezifischen Bewirtschaftung. Landwirtschaftliche Betriebe im Mittelgebir-ge arbeiten unter Grenzertragsbedingungen und sind daher in vielen Fällen auf Zuerwerb angewiesen. Ein solcher kann in der Pflege brachgefallenen Grünlandes liegen. In der Gemeinde St. Andreasberg (Oberharz) hat sich auf diese Weise ein "Landschaftspflegehof" herausgebildet. Eine im Auftrag der Bezirksregierung Braunschweig erarbeitete, interdisziplinäre Untersuchung dieses Betriebes zeigt, daß Landwirtschaft und Naturschutz im Mittelgebirge durch partnerschaftliche Zusammenarbeit viele Perspektiven zukünftiger Entwick-lungen besitzen.
 

Literatur

KLAPP, E., (1965): Grünlandvegetation und Standort. Verlag P. Parey, Berlin, Hamburg.
FILODA, H., H.-W. KALLEN, ST. BEILKE, (1996): Wiesenschutz und Heuvermarktung - Schutzprogramm für traditionell bewirtschaftete Feuchtwiesen. Naturschutz und Landwirtschaft 28, S. 133 - 138.
SCHWAHN, C.,  BORSTEL, U. v. et al. (1996): Nutzung und Pflege der Bergwiesen in St. Andreasberg. Interdisziplinäres Gutachten, erstellt im Auftrage der Bezirksregierung Braunschweig.


© Schwahn Landschaftsplanung, September 1998